Tätlicher Angriff auf BDS Austria Aktivisten in der Wiener Innenstadt

Während unseres BDS-Infotisches am Graben in der Wiener Innenstadt am Nachmittag des 19. August 2015 kam es zu einem gewalttätigen Übergriff gegen AktivistInnen von BDS Austria. Ein Herr in Begleitung dreier Damen und eines Jugendlichen kam nach längerer Beratung mit seinen Begleiterinnen an unseren Tisch und begann, mit einem unserer AktivistInnen zu diskutieren. Nach etwa fünf Minuten heftiger Diskussion zeichnete sich ab, dass keine der beiden Seiten die andere überzeugen konnte. Abschließend erklärte der Herr, er sei Israeli und gestikulierte mit einer Zigarette in der Hand vor dem Gesicht des Aktivisten. Die Erklärung, er sei Israeli, war offenbar als abschließendes Argument gemeint. Als unser BDS-Aktivist entgegnete, dass dies nun kein Argument sei und die Zigarette mit einer defensiven Handbewegung aus seinem Gesichtsfeld entfernen wollte, schubste der Mann unseren Aktivisten heftig, drehte sich um und setzte zum Gehen an. Schließlich machte er auf dem Absatz kehrt und versetzte unserem Aktivisten eine schallende Ohrfeige, sodass dessen Brille in hohem Bogen davonflog. Beim Versuch, den Angreifer ohne Gewaltanwendung am Fortlaufen zu hindern, schlug dieser dem Aktivisten mit einem heftigen Faustschlag ins Gesicht. Es gelang schließlich, den Herrn aufzuhalten bis die telefonisch verständigte Polizei eintraf. Eine der beiden Begleiterinnen (wie wir im Laufe der Auseinandersetzung erfuhren die Tante des Angreifers) war offenbar durch das Ausmaß der Gewaltanwendung durch ihren Neffen in Furcht vor Konsequenzen verfallen und begann, heftig erregt den Sachverhalt auf den Kopf zu stellen. Da auch sie kurz davor stand, AktivistInnen körperlich anzugreifen (beispielsweise versuchte sie, das Handy, mit dem wir die Polizei anriefen, einem Aktivisten aus der Hand zu reißen), wurde sie von der dritten Begleiterin daran gehindert. In Rage drohte sie, sie würde „die Kultusgemeinde“ verständigen und die AktivistInnen wüssten nicht, mit wem sie es zu tun hätten. Sie habe Einfluss und Bedeutung und sie werde sich die Gesichter der AktivistInnen merken. Das „Drohen“ mit der Kultusgemeinde wurde mehrmals auch durch den Schläger ausgesprochen. Beim Eintreffen der Beamten protestierte sie lautstark und forderten uns auf, das filmische Dokumentieren des Vorfalls sofort einzustellen. Da wir aus verständlichen Gründen nicht mit dem Filmen aufhören wollten, griff die Dame nach der Kamera, entriss sie unseren Händen und warf sie in hohem Bogen fort. (Die Kamera wurde dabei beschädigt.)

 

Bei unseren Infotischen diskutieren AktivistInnen mit interessierten BürgerInnen und engagierten VertreterInnen der Zivilgesellschaft über die Situation der Besatzung und Apartheid in Israel/Palästina und über konkrete Möglichkeiten der internationalen Zivilgesellschaft, mit erfolgreichen Kampagnen politischen Druck aufzubauen. Die Reaktionen fallen dabei unterschiedlich aus. In vielen Gesprächen erhalten wir Zustimmung und Unterstützung, manche GesprächspartnerInnen bleiben skeptisch oder empfinden die Forderungen nach dem Rückkehrrecht, dem Abriss der Mauer in der Westbank oder sogar die simple Forderung nach gleichen Rechten für PalästinenserInnen und Jüdinnen/Juden in Israel/Palästina für zu weitgehend. Immer wieder finden sich auch GesprächspartnerInnen, die den Forderungen zwar zustimmen, aber den BDS-Aufruf als ein ungeeignetes politisches Mittel erachten. Viele sagen aber auch, dass sie dem Aufruf zustimmen und diesen persönlich unterstützen, es aber niemals wagen würden, dies öffentlich zu tun, da der politische Druck zu groß sei und das Eintreten für gleiche Rechte viel zu leichtfertig als „Antisemitismus“ diffamiert werden würde. Überraschenderweise gibt es aber auch immer wieder Einzelpersonen, die jegliches Eintreten für die Rechte der PalästinenserInnen als „unverschämt“ empfinden und erbost Beschimpfungen ausstoßen. All das ist im Rahmen einer Auseinandersetzung rund um dieses emotional aufgeladene Thema nachvollziehbar und als Meinungsverschiedenheit zu respektieren. Niemand von uns erwartet, dass sich Personen, die eine israelische Besatzungs- und Apartheidspolitik bedingungslos unterstützen und rechtfertigen, durch einen Infotisch davon abbringen lassen.

 

Nicht toleriert werden kann es aber, wenn solche Personen ihren Ansichten mit der Faust Nachdruck verleihen wollen.

 

Im ersten Moment waren wir über so einen gewalttätigen Akt schockiert, wütend, entsetzt. Als AktivistInnen von BDS Austria sind wir uns bewusst, dass wir – in dem Moment, wo wir als solche öffentlich auftreten – als VertreterInnen der Rechte der PalästinenserInnen wahrgenommen werden. Der tätliche Angriff ist in unseren Augen daher mehr als „nur“ ein aus einer Meinungsverschiedenheit entstandener aggressiver Akt. Der Angriff symbolisiert vielmehr die Metaebene des Konflikts selbst. „Wir“ und „die Anderen“ ist der gewaltvolle Diskurs einer modernen Ära, die in immer gewaltvollerem Maße die Welt in jene unterteilt, die über vollwertige Rechte als StaatsbürgerInnen verfügen und jene (Anderen), die dieses „wir“ in Gefahr zu bringen drohen: Geflüchtete, MuslimInnen, PalästinenserInnen, GriechInnen,… Die Zahl der als „anders“ Konstruierten wird scheinbar von Tag zu Tag größer, die Gewalt und Verbrechen immer blutiger und brutaler.

 

Der ganze „Nahe Osten“ brennt, nicht zuletzt durch Kriege, an welchen sich Europa jahrelang beteiligt und bereichert hat. Heute sind Millionen Menschen auf der Flucht. „Europa muss sich schützen“, hören wir tagtäglich. Was uns durch dieses gebetsmühlenartige Mantra beständig ins Ohr geflüstert wird, bedeutet letztlich nichts anders ein stiller Genozid, ein Genozid, der Tausende Menschen an den Grenzen zu Europa ertrinken lässt; Menschen, die auf der Flucht vor den schlimmsten Kriegen sind, die wir in den letzten Jahrzehnten gesehen haben.

 

Inmitten dieses Blutbades, im Zentrum des sogenannten „Nahen Osten“, ist Israel und Palästina. Wer sich die Mühe macht, täglich den Newsticker zu lesen, wird in regelmäßigen Abständen registrieren, dass abermals illegale Siedlungen in der Westbank gebaut, PalästinenserInnen vertrieben, und entwurzelt werden, ohne Heimat und Dach über dem Kopf sind; dass abermals ein palästinensischer Hirte an der Grenze zum Gazastreifen von israelischen Soldaten erschossen, von einer Drohne ermordet wurde. Wer diese Nachrichten nun über einen längeren Zeitraum – sagen wir zehn Jahre – verfolgt, dem/der wird bewusst, dass es in Palästina nicht um einen „lästigen“ Konflikt zwischen zwei gleichwertigen Staaten, sondern um einen stillen Genozid an einer Bevölkerung unter militärischer Besatzung geht, die es in ein paar Jahren vielleicht nicht mehr gibt oder von denen wir – wie heute von den sogenannten IndianerInnen – als romantisierte, „ausgerottete“ Eingeborene lesen werden, wenn wir jetzt nicht handeln.

 

Das ist BDS und darum geht es im Kern, wenn sich AktivistInnen weltweit mit PalästinenserInnen solidarisieren und zum Boykott israelischer Produkte aus den besetzten Gebieten aufrufen. Vor diesem Hintergrund deuten wir die vermehrt aggressiver werdenden internationalen Angriffe auf BDS: Israelische PolitikerInnen sind dieser Tage gerade bemüht, BDS – eine internationale Kampagne von MenschenrechtsaktivistInnen mit dezidiert gewaltfreier Ausrichtung und mit AnhängerInnen wie der renommierten amerikanischen Feministin Judith Butler, der amerikanischen Bürgerrechtsaktivistin Angela Davis, dem südafrikanischen Anti-Apartheidsaktivisten und Erzbischof Desmond Tutu, der indischen Schriftstellerin, politischen Aktivistin und Globalisierungskritikerin Arundhati Roy und vielen mehr – auf die internationale Terrorliste zu setzen.

 

In den USA wurden Gegenkampagnen lanciert, im Zuge derer die Namen von BDS-AktivistInnen, die via Facebook BDS unterstützen, an namhafte Firmen geschickt werden, um diesen jungen Menschen zukünftige Karrieren zu verbauen.

 

Ohne den Beitrag, den die internationale BDS-Kampagne zu leisten vermag zu überschätzen, müssen diese Erscheinungen in einem Zusammenhang gedacht werden: Der reale, physische, alltägliche, unerträgliche und oftmals auch tödliche Druck, der durch den Staat Israel gegen PalästinenserInnen in der Westbank, im Gazastreifen und in den seit 1948 besetzten Gebieten ausgeübt wird sowie die Bekämpfungsmaßnahmen gegen gewaltfrei agierende BDS-AktivistInnen, die sich mit Transparenten, Infotischen und Flashmob-Aktionen für Gerechtigkeit einsetzen und die einzuschüchtern werden sollen, denen gedroht wird oder die manchmal sogar körperlich angriffen werden. Millionen Menschen weltweit unterstützen die BDS-Kampagne und solidarisieren sich mit Palästina. Zugleich fürchten sich viele vor den verschiedenen Formen der Gewalt, die ihnen entgegenschlägt, wenn sie sich offen zu BDS bekennen würden. Es ist traurig und bedenklich, dass der sogenannte „israelisch-palästinensische Konflikt“ so weit eskaliert, dass selbst im fernen Europa AktivistInnen krankenhausreif geprügelt werden, weil sie sich für Frieden, Gerechtigkeit und Recht in Palästina/Israel einsetzen.

 

Wir danken den PalästinenserInnen, die uns in ihren vielfältigen Formen des Widerstandes gegen Besatzung, Apartheid und militärischer Aggression inspirieren und der internationalen BDS-Bewegung, die uns die Kraft gibt, auch dann der Gewaltfreiheit verpflichtet zu bleiben, wenn AngreiferInnen versuchen, uns mit körperlicher Gewalt einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Es ist die Kraft des BDS-Aufrufs und der palästinensischen Zivilgesellschaft, die verdeutlicht, dass Solidarität eine mächtige Waffe gegen Unterdrückung, Besatzung und Rassismus sein kann.

 

Wir als BDS Austria werden uns durch solche Aktionen auf keinen Fall einschüchtern lassen und haben entsprechende Schritte eingeleitet. Auch in Zukunft werden wir selbstverständlich Infotische aufstellen und Informations-Kampagnen sowie Aktionen vorbereiten.

Wichtig: Wir suchen noch AugenzeugInnen und Videoaufzeichnungen. Falls jemand den Vorfall (per Handy oder Kamera) gefilmt hat oder als Augenzeugin/Augenzeuge aussagen kann, bitten wir dich/Sie, mit uns Kontakt aufzunehmen. Via PN auf facebook (www.facebook.com/bds.austria) oder per E-Mail an office@bds-info.at

 

 

 

 

BDS Austria, Wien, 25. August 2015