Stellungnahme zu Herrn Doron Rabinovicis Kommentar zum Protest gegen die Veranstaltung „David Ben Gurion“

Nach unserem Protest gegen die Veranstaltung „David Ben Gurion“ vor der Diplomatischen Akademie in Wien, meldete sich der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici via Facebook mit folgendem Kommentar:

Unsere ausführliche Antwort:

BDS Austria:

Lieber Herr Doron Rabinovici,

vielen Dank für Ihr Feedback. Wir freuen uns aufrichtig darüber, wenn unsere Protestaktion und Stellungnahme Sie als nicht unbekannten österreichischen Intellektuellen aus der Reserve gelockt und zu einer – wenn auch im Grundtenor durch und durch missbilligenden – Stellungnahme veranlasst hat. Es ist durchaus ein erwünschtes Etappenziel von uns als BDS Austria AktivistInnen, Kulturschaffenden, WissenschafterInnen und Intellektuellen den Anstoß zu geben, Stellung zu beziehen, ganz gleich in welcher Form, und damit das tödliche Schweigen über das Unrecht in Palästina/Israel, zu den Massakern gegen die Bevölkerung Gazas und den „normalen“, rassistischen Alltagsbetrieb in Israel und den besetzten Gebieten zu brechen. Dass Sie es anstößig finden, dass wir dabei in Österreich nicht nur Applaus und Zustimmung ernten, war und ist etwas, was wir wiederum zur Kenntnis nehmen müssen. Doch im Gegensatz zum weit fortgeschrittenen Diskurs in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern, in denen die BDS-Kampagne bereits von prominenten (jüdischen wie nicht-jüdischen) Intellektuellen, WissenschafterInnen und PolitikerInnen nicht nur als richtiges und wichtiges Instrument der Zivilgesellschaft anerkannt, sondern auch unterstützt wird, ist die Debatte dazu in Österreich erst am Anfang. Und aller Anfang ist schwer.

Da wir Kritik ernst nehmen, insbesondere wenn sie von aufrechten DemokratInnen und HumanistInnen kommt, möchten wir auf Ihren Kommentar gerne antworten, nicht zuletzt auch weil wir den Eindruck haben, dass Ihre Kenntnisse von BDS als weltweiter Kampagne im Allgemeinen und von unseren Standpunkten als lokale BDS-Gruppe im Speziellen ganz offensichtlich unzureichend sind.

Vorweg möchten wir an dieser Stelle das erste Missverständnis Ihrerseits aus dem Weg räumen und betonen, dass BDS Austria NICHT zum Boykott von einzelnen Personen bzw. „alle[n] israelischen Künstler[Innen] und Wissenschaftler[Innen]“ aufruft. Schon gar nicht zum Boykott von „kritischen israelischen Geistern“, wie Sie es beschreiben. Ganz im Gegenteil. Wir stehen in regem, direktem und indirektem Austausch mit einer Vielzahl kritischer israelischer Intellektueller und AktivistInnen. Sehr wohl aber rufen wir gemäß den Richtlinien der internationalen BDS-Kampagne zum Boykott von akademischen Institutionen und Veranstaltungen auf, die (un)mittelbar von der Besatzung profitieren, ihre Aufrechterhaltung billigen, fördern oder mittels kritischer Scheindiskurse dem Unrecht eine demokratische Fassade verleihen wollen.

Sie schreiben, dass wir, „statt die wissenschaftliche Auseinandersetzung zu suchen, um Verständigung zu fördern“, den „Boykott des Denkens“ und „unsere eigene Ignoranz“ propagieren würden. Sie haben insofern Recht, als dass wir – protestierenderweise – nicht bei der Veranstaltung waren (schlicht und ergreifend, weil wir davor protestiert haben), doch selbstverständlich haben wir uns mit Anita Shapiras „Ben-Gurion-Exegese“ auseinandergesetzt. Dabei kommen wir zu dem gleichen Schluss, zu dem auch der renommierte israelische Schriftsteller, Hochschullehrer, Journalist, Literaturkritiker und Antizionist Yitzhak Laor in seiner Rezension in der israelischen Tageszeitung Haaretz kommt: „Krude Propaganda, nicht einmal das (israelische) Außenministerium würde es verwenden, ihre (Shapiras) Kritik endet genau an der Grenze des offiziellen Zionismus“ (1).

Verständigung zu fördern wäre ein hehres Ziel, setzt jedoch – zumindest im Ansatz – voraus, dass wir es mit einem symmetrischen Konflikt zu tun hätten, bei dem zuallererst die – in dieser Minute fortgesetzte – Kolonisierung und völkerrechtlich illegale Besiedelung, Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung und Besatzung palästinensischen Landes beendet wurde. Bei dem – lassen Sie uns kurz träumen – kritische palästinensische WissenschafterInnen und kritische israelische WissenschafterInnen bei einer Veranstaltung wie dieser gleichermaßen zu Gehör kommen. Oder zumindest – zuallermindest palästinensische Stimmen wenigstens eingeladen werden, ja selbst wenn es zugekaufte, palästinensische Zionismus-ApologetInnen wären. Wir haben es satt, bei jeder kritischen Veranstaltung, bei der „nur“ kritische Israelis zu Gast sind, lesen zu müssen, die Veranstaltung wäre „einseitig“, während bei Veranstaltungen wie dieser keine einzige, noch so leise, palästinensische Stimme zu Wort kommt. Wissen Sie, Herr Rabinovici, dass das Albert-Schweizer-Haus der Evangelischen Akademie Sie, ja Sie, Herr Rabinovici, 2011 als „ausgleichende“ Stimme Ilan Pappe gegenübersetzen wollte? Weil ein antizionistischer Israeli der ÖIG zu „einseitig“ ist? Ist Ihnen klar, dass bei jeder Veranstaltung, die das Leid und die Situation der PalästinenserInnen, die Menschenrechtsverletzungen in Israel durch Staat und Militär darstellen will, de facto zensiert wird? Dass in Deutschland der Nakba-Ausstellung durch politischen Druck die Räumlichkeiten ständig entzogen werden, weil irgendwelche deutsch-israelischen Gesellschaften dem dort Gezeigten und Erzählten pauschal „Antisemitismus“ vorwerfen? (2) Dass die Israelische Botschaft direkt interveniert, selbst wenn die israelische Organisation „Breaking the Silence“ in Köln eine Ausstellung veranstalten will? (3)

Die palästinensische Spoken-Word-Künstlerin Rafeef Ziadah nennt das „höfliche Zensur“: die immer wiederkehrende Forderung, dass zu jeder Zionismus-kritischen Veranstaltung mindestens ein (mehr oder weniger liberaler) Zionist eingeladen werden muss, während umgekehrt jährlich tausende zionistische Veranstaltungen ohne jede palästinensische Stimme auskommen müssen. Sie schreiben in Ihrer Dankesrede zum „Ehrenpreis für Toleranz in Denken und Handeln 2015“: „Als Jude angegriffen, verteidige ich mich als Jude, doch wenn ich als Mensch gefragt bin und nicht als Mensch antworte, würde ich als Jude und als Mensch gleichermaßen versagen“(4). Unzählige Jüdinnen und Juden haben längst begriffen, dass sie in der Frage der grauenvollen Menschenrechtsverletzungen, des spezialisierten und menschenfeindlichen Kolonialsystems von Überwachen und Strafen, der abscheulichen Apartheid in Israel/Palästina nur und ausschließlich von der zionistischen Staatsideologie und fälschlich als Jüdinnen und Juden angesprochen werden, von der Menschheit aber als Menschen. Glauben Sie nicht, dass auch Sie gleichermaßen versagen würden, wenn Sie nicht als Mensch auf die Verbrechen des Staats Israels antworten, sondern vermeintlich (!) als Jude?

Sie schreiben, „Boykott von kritischen israelischen Geistern wird der palästinensischen Sache nichts nutzen“, und Sie haben völlig Recht. Genau aus diesem Grund rufen wir eben NICHT zum Boykott kritischer israelischer Geister auf, sondern suchen – ganz im Gegenteil – den direkten Dialog und die unmittelbare Zusammenarbeit mit diesen. Im Gegensatz zu der Eröffnungsrednerin der Veranstaltung mit Anita Shapira, Frau Susi Shaked, die beispielsweise 2011 indirekt zum Boykott des israelischen Historikers Ilan Pappe aufrief, ihn als einen „schwierigen Menschen“ bezeichnete und ihm zuvor mal eben Kraft ihres Amtes als Generalsekretärin der ÖIG die israelische Staatsbürgerschaft entzog (5).

Sie schreiben, „der Ansatz, alle israelischen Künstler und Wissenschaftler auszugrenzen, ist nichts als Rassismus“ und haben auch damit völlig Recht. Genau aus diesem Grund tun wir genau das NICHT.

Wir erachten es hingegen als belanglos, ob ein Unternehmen oder eine Institution sich in Ariel oder in einer anderen völkerrechtswidrigen jüdisch-israelischen Siedlung in den besetzten Gebieten befindet, oder aber in Tel Aviv; man kann auch von Rom, Washington oder Wien aus die israelische Besatzung unterstützen bzw. von ihr profitieren, dazu muss man kein palästinensisches Land unmittelbar besetzen. Es fällt Ihnen sicher nicht schwer, die enge Verflechtung von Militär & (technologischem) Wissen, die zur Aufrechterhaltung der Besatzung sowie der Unterdrückung von PalästinenserInnen beiträgt (vgl. unser ursprünglicher Protestbrief) zu durchschauen.

In diesem Zusammenhang von „schiere[r] Hetze“ zu sprechen und BDS Austria (bzw. der BDS-Bewegung an sich) Rassismus vorzuwerfen, halten wir also nicht nur für unangebracht, sondern schlichtweg für falsch und für intellektuell unredlich. Ein undifferenzierter pauschaler Boykott war und ist weder Mittel noch Ziel der BDS-Bewegung. Die Richtlinien für akademischen Boykott, nach denen auch wir uns richten, sind hier öffentlich einzusehen: http://www.pacbi.org/etemplate.php?id=1108.
Dennoch danken wir Ihnen abschließend noch einmal für Ihren Kommentar, da wir durchaus hoffen, dass Sie sich früher oder später, wenn dieses Apartheidregime immer mehr jüdische und/oder israelische, kritische Geister angesichts ihres beständigen Rechtsrucks abstößt, denen anschließen, die wie Ilan Pappe, Yitzhak Laor, Judith Butler, Gideon Levy, Norman Finkelstein, Noam Chomsky, Uri Avnery, Jeff Halper, Noami Klein, Uri Davis, … klar Stellung beziehen und die drei selbstverständlichen Forderungen der BDS-Bewegung unterstützen:

• Dass die Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes beendet und die Mauer abgerissen wird.
• Dass das Grundrecht der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels auf völlige Gleichheit anerkannt wird.
• Dass die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren, wie es in der UN Resolution 194 vereinbart wurde, respektiert, geschützt und gefördert werden.

Lieber Herr Rabinovici, da wir Ihr Anliegen ernst nehmen und überzeugt sind, dass Sie die konstruktive Diskussion suchen, möchten wir Ihnen eine öffentliche Diskussionsveranstaltung nach dem Vorbild der Podiumsdiskussion der deutschen Tageszeitung taz von vor zwei Jahren vorschlagen. In dieser können Sie Ihre Positionen, Ihre Kritik und Ihre Vorschläge darlegen: Doron Rabinovici und Omar Barghouti über die BDS-Bewegung mit einer neutralen Moderation. Was halten Sie davon?

(1) http://www.haaretz.com/jewish/books/.premium-1.666393
(2) http://www.taz.de/!5050656/
(3) http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-06/breaking-the-silence-ausstellung-koeln-israel
(4) http://derstandard.at/2000025663491/Doron-RabinoviciIch-respektiere-tolerante-Rassisten-nicht
(5) http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wien/stadtleben/391693_Israel-Kritiker-sorgt-fuer-Aufregung.html „Bei dieser Veranstaltung handelt es sich um ein ganz einseitiges Symposium, das keine einzige israelische Stellungnahme zulässt,“ kritisierte Susi Shaked, Generalsekretärin der ÖIG, das anstehende Treffen.‘ Demzufolge aberkannte Susi Shaked den beiden israelischen Staatsbürgern und Referenten Ilan Pappe und Umar al-Ghubari die Staatszugehörigkeit.“

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Doron Rabinovici antwortete daraufhin seinerseits:

In dem Schreiben an mich tut BDS Austria so, als wäre Uri Avnery ein Anhänger von BDS. Allein diese Entstellung der Wahrheit zeugt von der Ahnungslosigkeit oder Verlogenheit, die diese Gruppe ausmacht, denn Uri Avnery, den ich persönlich kenne und schätze, sprach sich sehr klar und deutlich gegen BDS aus. Uri Avnery rief als Israeli und in Israel zum Boykott der Siedler auf. Aber er hält einen Boykott, der sich gegen ganz Israel richtet, seit jeher für einen Fehler und für ein Hindernis im Bemühen um Frieden. Avnery hält BDS zwar nicht für eine antisemitische Bewegung, meint indes, sie ziehe Antisemiten an. Wie unverfroren muss einer sein, ihn zu zitieren, um mir BDS schmackhaft machen zu wollen. Aber die Wahrheit ist, gerade Avnery ist es, der uns am Besten erklären kann, warum BDS alle Israelis ins Lager von Netanjahu treibt und die Eskalation schürt.

Ebenso falsch, wenn nicht gar verlogen, ist von BDS Austria, den Eindruck zu hinterlassen, Norman Finkelstein unterstütze BDS. Nein, das tut er dezidiert nicht. Wer sollte das bitte besser wissen, als BDS?
Auch bei Noam Chomsky ist durchaus fraglich, inwiefern er einen Boykott von einem Vortrag einer Historikerin unterstützen würde.

BDS Austria begreift nicht, dass Anita Shapira zu boykottieren, die ganze Absurdität des wissenschaftlichen Boykotts aufweist. Die Universität Tel Aviv ist ein Zentrum kritischen Denkens in Israel. Hier lehrte oder hier lehrt der von BDS angeführte Yitzhak Laor, Yossi Beilin, Shlomo Sand, Dan Diner, Walter Grab, Moshe Zimmermann oder Moshe Zuckermann. Diese Uni zu boykottierten, zeigt an, nichts von der israelischen Gesellschaft begriffen zu haben. Anita Shapira ist zudem emeritiert. Sie ist gar nicht mehr Professorin der Uni. Sie überlebte als Kind in Warschau die Vernichtung. Sie als Ausdruck eines rassistischen Regimes in Österreich zu boykottieren, bedeutet, die jüdische und österreichische Vergangenheit zu negieren, doch ebenso die israelische Gegenwart nicht zu verstehen.
Anita Shapira ist eine kritische Historikerin. In vielen Rezensionen innerhalb und außerhalb von Israel gewürdigt. Aber darum geht es gar nicht. Wissenschaftliche Arbeit muss nicht links und genehm sein, um nicht boykottiert zu werden. Forschung und Kunst sind dialektische Prozesse. Wer das nicht begreift, ist an Aufklärung nicht interessiert. Wie ist aber zu rechtfertigen, eine ganze Nation und ihre Zivilgesellschaft aus diesem wechselseitigen Austausch auszuschließen?
BDS richtet sich gegen die Zivilgesellschaft, gegen akademische und künstlerische Menschen in Israel und trifft dadurch vor allem jene Teile der israelischen Bevölkerung, die der Regierung, der Besatzung und der Siedlerbewegung großteils kritisch gegenüberstehen.
BDS dient der Kriegshetze und der Einseitigkeit, nicht der Verständigung und dem zivilgesellschaftlichen Dialog. BDS verrät die Kunst, die nicht auf Ausschluss setzt, sondern auf Begegnung, auf Austausch und auf die Überwindung der Begrenztheit.
BDS Austria will in dem Schreiben an mich jetzt glauben machen, BDS habe nicht weltweit einzelne Personen boykottiert, sondern nur Institutionen. Die Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen Personen und akademischen Institutionen ist jedoch ein Trick. Es kann niemand jenseits der Universitäten forschen und lehren. Dasselbe stimmt übrigens auch für Künstler, Schriftsteller und Filmemacher. Kunst ist überall ein kollektiver Prozess.
Aber die Behauptung von BDS Austria, Einzelpersonen würden nicht boykottiert, ist nachweislich falsch. Der jüdisch amerikanische Musiker Matisyahu ist etwa bei dem spanischen Reggaefestival Rototom Sunsplash auf Druck von BDS ausgeladen worden. Als einziger Musiker des Festivals war er aufgefordert worden, eine politische Erklärung für einen Palästinenserstaat zu unterschreiben. Das ist der wahre Charakter der Boykottbewegung gegen israelische Kunst und gegen israelische Künstler: Der jüdische Musiker Matisyahu wurde beinah aus einem spanischen Festival ausgeladen. Matisyahu ist kein Israeli, kein Politiker und kein Militär. Der Jude wird ausgegrenzt, weil er nicht die stimmige Meinung zum – durchaus komplexen – Nahostkonflikt vertritt. Hier wird der antisemitische Kontext offensichtlich, vor dem der Boykott gefordert wird. Kein nichtjüdischer Musiker musste eine politische Erklärung abgeben. Zurecht musste kein muslimischer Sänger sich vom Dschihadismus distanzieren, kein chinesischer von der Besetzung Tibets, kein russischer von jener der Krim distanzieren, um auftreten zu dürfen.
Zugegeben: Der Konflikt in Israel/Palästina ist kein symmetrischer. Die Besatzung und die Siedlungspolitik müssen beendet werden. Ich will nicht die Nakba und nicht das palästinensische Leid abstreiten. Ich gehe hier nicht darauf ein, denn gegenüber BDS Austria geht es um etwas Anderes: Den Konflikt als Folge einer „Apartheid“ zu sehen, bedeutet, den Unterschied zwischen den Weißen in Südafrika und den Juden im Nahen Osten negieren zu wollen. Ausgeblendet wird so, dass der Zionismus die Reaktion auf eine verzweifelte Ausweglosigkeit war. In Österreich jene, die der Vernichtung entgingen, zu den eigentlichen Rassisten zu erklären, ist die Umkehr von Opfern und Tätern. Nichts anderes sind auch die Angriffe von BDS Austria gegen den Überlebenden Karl Pfeifer. Übergangen wird von BDS auch das jahrzehntelange Ziel der arabischen Staatengemeinschaft Israel zu vernichten. Verschwiegen wird von BDS ebenso die Vertreibung von 850.000 Juden aus arabischen Ländern.
Kein Wort von BDS zu diesen Verbrechen. Kein Wort auch von BDS gegen die antisemitische Propaganda in islamistischen Bewegungen, zumal in der palästinensischen. Kein Wort von BDS zu den Attentaten an Juden in ganz Europa – begangen in den letzten Monaten von dschihadistischen Mördern. Dieses Schweigen ist kein Zufall, sondern die Konsequenz einer falschen Strategie. Es ist zwar – das ist wichtig – der aktuell emotionale Hintergrund und der politische Kontext ein anderer, doch im Grunde beruht der willkürliche Mord an einem israelischen Zivilisten auf demselben rassistischen Denken wie jener an einem jüdischen Zivilisten in Europa. Getroffen werden Unschuldige, die alleinig ihrer national kulturellen Identität wegen gemordet werden. Und der Konnex zu BDS ist offenkundig. Eine ganze Zivilgesellschaft wird zum Feind erklärt. Der Terrorist greift zur Waffe. BDS zum Boykott. Der Unterschied zwischen beiden ist zwar entscheidend, lebensentscheidend sogar, doch das Gemeinsame ist die Negierung des Individuums in seiner Existenz jenseits des Kollektivs.
Beide behaupten im Namen der Unterdrückten zu agieren, doch in Wirklichkeit schüren sie die Eskalation, den Hass und das Unrecht auf beiden Seiten. Sie ersticken alle Möglichkeiten zum Dialog.
Offenkundig wird diese letztlich rassistische Logik, wenn etwa einem Überlebenden wie Karl Pfeifer, welcher es schaffte, der antisemitischen Vernichtung zu entkommen und dann im jüdischen Untergrund mit der linken Eliteorganisation Palmach gegen die britische Kolonialmacht und schließlich im Unabhängigkeitskrieg zu kämpfen, vorgeworfen wird, ein Kämpfer für den Faschismus gewesen zu sein. Besonders unerträglich hierbei die irreführende Erwähnung von Deir Yassin, als wäre der Palmach an dem Massaker von Irgun und Lechi beteiligt gewesen.
Ich wende mich nun nicht an BDS Austria, sondern an die Einzelpersonen, die hier mitarbeiten. Mich interessieren dabei besonders jene, deren Namen auf eine arabische Familiengeschichte hinweisen: Wir, die wir aus diesem einen Land zweier Nationen stammen, haben hier in Österreich die Chance, Solidarität mit unseren jeweiligen Verwandten im Nahen Osten zu beweisen, ohne die andere Seite bekämpfen zu müssen. Wir können hier für Dialog statt für Boykott und Hetze stehen. Wir haben hier gemeinsam gegen den Rassismus aufzutreten. Ich will die identitäre Politik nicht zuspitzen, sondern ein Denken jenseits der Logik des Krieges suchen. Ich hoffe auf einen Frieden zwischen zwei Staaten, zwischen Israel und Palästina.

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Worauf wir wiederum antworteten:

BDS Austria

Lieber Herr Doron Rabinovici,

zunächst auch dieses Mal danke für Ihren Kommentar.

Es ist bemerkenswert, dass ein Intellektueller, der laut eigenem Bekunden für den Dialog eintritt und das Ausschließen von Gesprächsbereitschaft offenbar als einen „gewalttätigen Akt“ („Der Terrorist greift zur Waffe. BDS zum Boykott“) klassifiziert, seinerseits aber den direkten Dialog mit AktivistInnen einer dezidiert gewaltfreien Kampagne verweigert. Offenbar gibt es auch in Ihren Augen Taten, Handlungen und Ansichten, die es legitimieren, mit VertreterInnen dieser Taten, Handlungen und Ansichten den Dialog zu verweigern und diesen direkten Dialog zu „boykottieren“. Spannend. Für Sie sind diese Taten, Handlungen und/oder Ansichten, die einen „Boykott“ des direkten Gesprächs rechtfertigen ganz offensichtlich die Ansichten von BDS (und speziell BDS Austria), die explizit gewaltfrei sind, nicht aber die Handlungen, Taten und Ansichten des offiziellen Staates Israels und seiner VertreterInnen. Mit diesen soll man Ihrer Ansicht nach also nach wie vor einen Dialog suchen, wiewohl dieser Staat und all seine bisherigen VertreterInnen mit exzessiver militärischer, ökonomischer, politischer, juristischer und sozialer Gewalt palästinensisches Land besetzen und annektieren, die palästinensische Bevölkerung vertreiben, massakrieren, unterdrücken und marginalisieren. Mit dem Staat Israel und seinen militärisch-industriellen Komplex, seinen diplomatischen, politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen BotschafterInnen muss Ihrer Meinung nach verhandelt und gesprochen werden, mit einer gewaltfreien Protestkampagne aber muss der Dialog verweigert werden. Wirklich ein interessanter Standpunkt.

Der von Ihnen gleich als Aufhänger verwendete Satz von uns, dessen Aussage Sie unserer Ansicht nach entstellt wiedergegeben haben, sollte eigentlich unmissverständlich sein. Wir erläutern Ihnen aber gerne deutlicher die Quintessenz.

„…klar Stellung beziehen und die drei SELBSTVERSTÄNDLICHEN FORDERUNGEN der BDS-Bewegung unterstützen“. Das tut auch Uri Avnery, auch wenn er – da haben Sie wieder völlig Recht – BDS als Strategie und Methode eingeschränkt sehen will auf Produkte aus Siedlungen (was übrigens in Israel selbst juristische Konsequenzen nach sich ziehen könnte). Wie Sie, schätzen auch wir Uri Avnery als einen der frühesten DissidentInnen innerhalb des Staates Israel, der bereits zu einer Zeit den ernstgemeinten Dialog mit Jassir Arafat und der PLO suchte, als dies im Staat Israel noch als kriminelles Delikt galt. Im Unterschied zu Karl Pfeifer hat Uri Avnery die Terrormiliz „Irgun“ übrigens verlassen und sich von deren Terrorakten in unzähligen Interviews und Texten unmissverständlich distanziert. Mit einigen Dingen, die Avnery sagt und schreibt, stimmen wir aber auch nicht überein. Müssen wir auch nicht. Es ist – eigentlich merkwürdig, so etwas Offensichtliches überhaupt festhalten zu müssen – völlig normal, dass es in einer Friedensbewegung unterschiedliche, auch divergierende Ansichten über den Weg zu einem gerechten Frieden gibt.

Gleiches gilt für Norman Finkelstein. Seine – durchaus harte – Kritik an BDS ist wohl jeder und jedem bekannt, der sich mit dem israelisch-palästinensischen „Konflikt“ auseinandersetzt. Nichtsdestotrotz unterstützt er diese drei Forderungen auf seine Weise. Und auch Chomsky mag zur Strategie von BDS geteilter Ansicht sein, dennoch hat er – und wir sind sicher, dass Sie diese Tatsache zu erwähnen nur vergessen haben – Professor Stephan Hawking ermutigt, sich dem akademischen Boykott anzuschließen und seine Teilnahme an der Konferenz „Facing Tomorrow 2013“ abzusagen. In dem Brief an Hawking steht u.a.: „Israel has a name for the promotion of its cultural and scientific standing: ‚Brand Israel‘. This is a deliberate policy of camouflaging its oppressive acts behind a cultured veneer.“(1).

Sie schreiben, wir würden nicht verstehen, dass ein Protest (oder, wie Sie schreiben, ein „Boykott“ gegen Anita Shapira, als hätten wir Shapira als Einzelperson „boykottiert“) gegen die Kooperationsveranstaltung zwischen Diplomatischer Akademie und dem „Center for Israel Studies“ „die ganze Absurdität des wissenschaftlichen Boykotts“ aufweise. Sie betonen, die Universität Tel Aviv sei „ein Zentrum kritischen Denkens in Israel“ und führen respektable Persönlichkeiten an, die dort lehrten oder lehren. Was Sie ganz offensichtlich nicht verstehen können oder wollen, ist, dass es bei einem Protest oder Boykottaufruf NICHT – noch einmal: NICHT – um den Protest/Boykott von Professorin X oder Professor Y geht, sondern um die Institution selbst. Anita Shapira mag emeritiert sein, das „Center for Israel Studies“, zu dessen „Board“ auch Sie, Herr Rabinovici, zählen, schätzt sich glücklich folgende SponsorInnen und PartnerInnen zu haben: „Israel Institute, Washington“, „Embassy of Israel, Vienna“ und „Israel Ministry for Foreign Affairs, Division for Cultural and Scientific Affairs“ (2). Mit anderen Worten, es ist gesponsert von den offiziellen Institutionen des Staats Israel und seines Außenministeriums.

Sie fragen „Wie ist aber zu rechtfertigen, eine ganze Nation und ihre Zivilgesellschaft aus diesem wechselseitigen Austausch auszuschließen?“

Lieber Herr Rabinovici, an dieser Stelle beginnen wir leise Zweifel zu hegen, dass Sie wirklich als unabhängiger Demokrat, Humanist und Intellektueller Ihre Kommentare auf unsere Wall schreiben, und nicht bloß als Board-Member des „Centers for Israel Studies“, das auf seiner Homepage damit wirbt, in der „Wiege des Zionismus“ Wien gegründet worden zu sein und wünscht, „zu einem tieferen Verständnis des modernen Israel zu inspirieren“.

Da wir unverbesserliche OptimistInnen sind und wissen, dass – um unseren Freund Ofer Neiman von „Boycott from Within“ (der israelischen BDS-Gruppe) zu zitieren – kein Antizionist vom Himmel fällt, sondern die Loslösung von dieser Ideologie ein langer, langsamer und nicht gradliniger (um nicht zu sagen, dialektischer) Prozess ist, erläutern wir es gerne noch einmal für Sie. Verzeihen Sie, dass wir an dieser Stelle aus Zeitgründen einfach den Filmeregisseur, Autor und Produzent des jährlichen „Palästinensischen Literaturfestivals“ Omar Robert Hamilton zitieren, der der britischen Schriftstellerin Joanne K. Rowling auf ähnlich schwache Argumentationen antwortete:

„BDS will nicht den Austausch von Kunst oder Literatur über die Grenzen hinweg stoppen. Bei BDS geht es darum staatlich geförderte Propaganda zu stoppen, die sich unwidersprochen als Kunst [oder in diesem Fall als „kritische Forschung“] verkleidet. BDS fordert, dass Kunst [oder in diesem Fall, Wissenschaft] als Kunst auftritt und KünstlerInnen für sich selbst sprechen und sich nicht als Marionetten eines Apartheidregimes instrumentalisieren lassen. Echter Dialog zwischen Einzelpersonen oder Institutionen, die nicht an den Staat angegliedert sind [merken Sie’s? Israelische Botschaft? Israelisches Außenministerium? Siehe Fußnote 2], sind nicht Ziel des Boykottaufrufs. Worauf BDS abzielt ist, staatlich gesponserte Vernebelung zu demaskieren, die dazu dient, Israel mehr Zeit bei der Eroberung von mehr [palästinensischem] Land zu erkaufen. Den BDS Aufruf zu unterzeichnen würde Sie nicht daran hindern sich mit ‚gewöhnlichen Israelis‘ auszutauschen und zusammenzuarbeiten. Tatsächlich würde genau das gewährleisten, dass der Bereich, um den Sie sich sorgen, kenntlich gemacht wird. Israelis, die sich der staatlichen Politik von ethnischer Säuberung und Apartheid widersetzen werden mit offenen Armen aufgenommen. Aber wir sind nicht länger an einem Dialog mit jenen interessiert, die von dieser Politik profitieren.“(3).

„BDS dient der Kriegshetze“, schreiben Sie. Nun, in dem Fall würde uns wirklich interessieren, für welchen Krieg wir Ihrer Meinung nach hetzen. Könnten Sie das elaborieren?

Lieber Herr Rabinovici, bei Ihrem Matisyahu-Argument werden Sie wirklich unredlich. Da Sie den Fall anscheinend sehr genau verfolgt haben und kennen, kommen wir nicht umhin, Ihnen dreiste Perfidie vorwerfen zu müssen. Der von Ihnen erwähnte Aufruf zur Ausladung von Matisyahu basierte darauf, dass Matisyahu öffentlich Israelische Kriegsverbrechen verteidigte, die von Amnesty International und Human Rights Watch als solche bezeichnet wurden. Die OrganisatorInnen des Festivals, die Matisyahu zu einem Statement aufforderten, sprachen NICHT im Namen von BDS. Den Rest Ihrer grotesken Auslassungen beantworten wir – weil es wirklich müßig wird – mit einem Artikel des (btw jüdischen) Philosophie-Professors Charles H. Manekin (der unter seinem Pseudonym Jerry Haber schreibt) zu dieser Angelegenheit: http://www.jeremiahhaber.com/…/why-boycotting-matisyahu-is-…. Eine offizielle Erklärung des „Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel“ finden Sie dazu auch hier: http://www.pacbi.org/etemplate.php?id=2741&key=matisyahu

Lieber Herr Rabinovici, es ist ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für einen liberalen Zionisten zuzugeben, dass „der Konflikt in Israel/Palästina (…) kein symmetrischer (ist, und dass) die Besatzung und die Siedlungspolitik (…) beendet werden (müssen)“. Es ist ein bemerkenswerter Fortschritt, dass Sie die „Nakba und das palästinensische Leid“ nicht abstreiten wollen. Ganz ohne Polemik. Es hat Jahrzehnte gebraucht, um solche Worte von einem Board-Member eines Instituts zu lesen, das von der Israelischen Botschaft und vom Israelischen Außenministerium gesponsert wird. Wir hoffen aufrichtig, dass Sie deshalb keine Probleme bekommen.

„Den Konflikt als Folge einer ‚Apartheid‘ zu sehen, bedeutet, den Unterschied zwischen den Weißen in Südafrika und den Juden im Nahen Osten negieren zu wollen“, schreiben Sie. Nun, um noch einmal auf Chomsky zurückzukommen, gäbe dieser Ihnen Recht, wenn er sinngemäß sagt, es sei ein Geschenk an Israel, die Situation vor Ort als Apartheid zu bezeichnen (4). Dies ist mit ein Grund, weshalb er die BDS-Kampagne kritisiert. Natürlich gibt es Unterschiede in den Formen und Methoden der israelischen Apartheid, verglichen mit der südafrikanischen. Chomsky meint im Übrigen, die israelische Apartheid wäre wesentlich schlimmer. Geschenkt. Lieber Herr Rabinovici, wir sind es fast schon Leid, uns in der Diskussion im Kreis drehen zu lassen. Um Sie und allfällige LeserInnen dieser Kontroverse nicht weiter zu langweilen, verkürzen wir die Debatte darüber und verweisen auf verschiede Beiträge dazu hier (5).

Indem Sie den Zionismus (und damit das koloniale Projekt) als Reaktion auf eine verzweifelte Ausweglosigkeit bezeichnen, aber nicht weiter auf den Kontext eingehen, tun Sie genau das, was Sie uns vorwerfen: Sie vereinfachen relevante historische Tatsachen und Vorgehen im Sinne Ihrer Argumentation. Nun, da Sie es nicht getan haben, wollen wir auf den Kontext etwas näher eingehen. Wir müssen annehmen, dass Sie mit der Ausweglosigkeit nicht die Shoah meinen, denn wir bezweifeln, dass wir Ihnen als Board-Member des Centers for Israel Studies in „der Wiege des Zionismus“ erklären müssen, dass der Zionismus lange vor dem Menschheitsverbrechen der Shoah ersonnen, geplant und bereits umgesetzt wurde. Wir bezweifeln ebenfalls, Ihnen erklären zu müssen, dass der Zionismus vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts von der überwiegenden Mehrheit der Jüdinnen und Juden weltweit abgelehnt wurde. Auch bezweifeln wir Ihnen erklären zu müssen, dass der Mythos „ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ von Anfang an auf einer eklatanten Lüge basierte. Wir müssen also stattdessen davon ausgehen, dass Sie sich auf die Entstehung des Zionismus als Reaktion auf den sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa entwickelnden rassifizierenden Antisemitismus berufen. Damit haben Sie natürlich vollkommen Recht; dieser Entstehungskontext ist nicht zu leugnen. Allerdings geben wir zu bedenken: Dem spezifischen antisemitischen Rassismus mit einem Kolonialprojekt (und damit zwangsläufig notwendig einhergehendem neuen Rassismus) begegnen zu wollen, war von Anbeginn an der Geburtsfehler des Zionismus. Wie kompromisslos manch überzeugte ZionistInnen in der Verfolgung des kolonialen Projekts leider auch im Angesichte des europäischen Nazi-Faschismus waren, zeigen beispielsweise folgende Aussagen von David Ben Gurion – womit wir wieder auf unsere ursprüngliche Protestaktion zurückkommen: Drei Wochen nach der Reichspogromnacht 1938 erklärte dieser: „Wenn ich wüsste, dass durch Transporte nach England möglich wäre, alle [jüdischen] Kinder aus Deutschland zu retten, durch Transporte nach Palästina aber nur die Hälfte von ihnen gerettet werden könnte, so würde ich mich für letzteres entscheiden.“ Im gleichen Zusammenhang wird Ben Gurion zitiert, dass „das menschliche Gewissen verschiedene Länder dazu bringen könnte, ihre Grenzen für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland zu öffnen“ und bezeichnete es als Bedrohung für den Zionismus. Aufgabe der Jewish Agency, erklärte Ben Gurion, sei es, das Land Israel aufzubauen (6).

Ohne die Shoah und den darin kulminierten, völkermörderischen Antisemitismus zu relativieren, stimmen wir mit den Ansätzen des afrokaribisch-französischen Schriftstellers Aimé Césaire, des Kolonialhistorikers Jürgen Zimmerer und anderen postkolonialen TheoretikerInnen überein: So beispiellos die Shoah in der Geschichte der Menschheitsverbrechen war, so stellt sie sich dennoch als ein Kolonialverbrechen neuen, zuvor ungeahnten Typus dar. Rassismus und Kolonialismus sind untrennbar miteinander verbundene Zwillinge, bedingen einander und lassen sich auch nur gleichzeitig bekämpfen. Wir können diesen Diskurs an dieser Stelle gezwungenermaßen nur verkürzt darlegen, laden Sie aber ein, die Diskussion dieses komplexen Themas an anderem Ort und anderer Zeit zu vertiefen.

Kommen wir zu Ihrem nächsten Punkt, die Vertreibung der Jüdinnen und Juden aus den arabischen Ländern, zu der BDS schweige. Ganz nebenbei angemerkt, Sie wissen schon, dass Kampagnen-Arbeit bedeutet, dass man sich auf einen Schwerpunkt fokussiert? Eine stetig wiederkehrende, rhetorische „Frage“ an BDS ist: „Warum schweigt ihr zur globalen Erwärmung, zum Bürgerkrieg in Syrien, zum Mauerbau an den Grenzen der EU, …?“ Weil BDS das Unrecht in Palästina/Israel zum Thema hat, unzählige AktivistInnen der weltweiten BDS-Kampagne sind zugleich in anderen Initiativen, Kampagnen und Bewegungen aktiv, von der Refugee-Bewegung bis zum Tierschutz, von der Anti-Kriegsbewegung bis Amnesty International. Zu BDS aber finden sich AktivistInnen zusammen, die zu BDS-Themen arbeiten.

Aber in aller gebotenen Kürze und nur zitiert, weil wir das Rad nicht ständig neu erfinden wollen: „Zwei Historiker – der Israeli Tom Segev und sein österreichisch-jüdischer Kollege John Bunzl – haben intensiv über dieses Thema (Vertreibung von Jüdinnen und Juden aus arabischen Ländern) gearbeitet und kommen zu ganz anderen Ergebnissen“. Hier eine vertiefende Analyse (7).

„Der Terrorist greift zur Waffe, BDS zum Boykott“? Ist das Ihr Ernst? Sie zitieren indirekt die Likud-Politikerin Anat Berko, die die BDS-nahe Fifa-Petition als „diplomatischen Terrorismus“ und „Fortführung der palästinensischen Massaker an israelischen Athleten während der Olympischen Spiele 1972 in München“ bezeichnete? Ist das das Niveau, auf dem Sie über eine explizit gewaltfreie Kampagne diskutieren wollen?

Gibt es in Ihren Augen eigentlich – nur mal kurz vom Hauptthema abschweifend – irgendeine, egal welche, irgendeine Form des palästinensischen Widerstandes gegen Besatzung (wie auch völkerrechtlich verbrieft), die Sie, der Likud und der israelische Staat NICHT mit Terrorismus gleichsetzen? Irgendeine? Außer vielleicht gemeinsam versöhnlich Ringel Reiher zu tanzen, während die Siedlungen ausgebaut, PalästinenserInnen vertrieben, enteignet, deren Häuser zerstört, Kinder und Jugendliche inhaftiert und teilweise zu Tode gefoltert (8) oder an Check-Points von Soldaten erschossen werden? Ringel-Reiher beim nächsten zu erwartenden Groß-Angriff Israels auf das größte Freiluft-Gefängnis Gaza zu tanzen? Ist das Ihr Lösungsvorschlag? Was genau soll bei dem Dialog mit der israelischen Regierung, ihren VertreterInnen und direkten und indirekten BotschafterInnen herauskommen? Ein neues Oslo, von dem mittlerweile alle ernstzunehmenden ExpertInnen sagen, dass es Israel die günstigste und effektivste Besatzung der Geschichte ermöglicht hat, samt PA und Sicherheitskooperationen? Wann genau erachten Sie es als an der Zeit, den Dialog abzubrechen? Wenn BDS zum Boykott aufruft?

Ihre Bemerkungen zu unserem Kommentar zum Palmach-Kämpfer Karl Pfeifer sind erhellend. Weder haben wir behauptet, er habe auf der Seite der FaschistInnen gekämpft (womit Sie wohl den Nazi-Faschismus meinen), noch dass Palmach an den Massakern in Deir Yassin unmittelbar beteiligt war. Bemerkenswert aber, dass Sie das Massaker als solches bezeichnen. Noch vor 10 Jahren hätten wir darüber wohl streiten müssen. Wir haben aufgezählt, an welchen Verbrechen gegen die palästinensische Zivilbevölkerung Palmach beteiligt war. Mörderischen Verbrechern glücklicherweise entkommen zu sein rechtfertigt nicht im Geringsten, sich einer Verbrecherbande anzuschließen und Verbrechen zu verüben. Ich hoffe, Sie können dieser zugegebenermaßen bitteren Logik folgen. Palmach als „linke“ „Befreiungsbewegung“ zu stilisieren, ist billigste Hasbara-Propaganda und keiner weiteren Antwort wert.

Lieber Herr Rabinovici, wenn Sie einzelne AktivistInnen von BDS Austria kennenlernen möchten und sich für die individuellen Beweggründe interessieren, besuchen Sie uns einfach bei einer unserer Veranstaltungen. Wir haben nun ein weiteres Mal die Gesprächsbereitschaft mit Ihnen signalisiert. Ihr pathetischer Normalisierungs- und Relativierungsversuch „ wie wir aus diesem einen Land zweier Nationen…“ fällt hinter Ihre eingangs gemachten Fortschritte zurück: Es ist kein symmetrischer Konflikt. Punkt. Folglich handelt es sich nicht um zwei sich streitende Nationen, sondern um BesatzerInnen und Besatzte, KolonisatorInnen und Kolonisierte. Drehen und wenden Sie es, wie Sie wollen. Wie auch Sie Ihre Privilegien zu verlernen lernen können, damit eines Tages Jüdinnen/Juden und PalästinenserInnen tatsächlich in einem gerechten Frieden in diesem einen Land Palästina zusammenleben könnten, darüber diskutieren wir gerne mit Ihnen und mit Omar Barghouti bei der einen oder anderen Gelegenheit. Fadenscheinige Normalisierungsdialoge zur Besatzungsrealität können Sie allerdings im Center for Israel Studies , gesponsert von der Israelischen Botschaft und dem israelischen Außenministerium führen, während die Besatzung und Kolonisierung Palästinas weitergeht; allerdings nicht mit uns.

(1) https://www.theguardian.com/world/2013/may/10/noam-chomsky-stephen-hawking-israel-boycott
(2) http://center-for-israel-studies.at/partners-and-sponsors/
(3) http://www.counterpunch.org/2015/10/27/hamilton-vs-j-k-rowling-round-two/
(4) https://www.democracynow.org/2014/8/8/noam_chomsky_what_israel_is_doing
(5) http://bds-info.at/index.php/das-verbrechen-der-apartheid
http://www.icahdusa.org/is-israel-an-apartheid-state/
(6) Vgl. dazu Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1995, ISBN 3-498-06244-1
(7) http://www.palaestina-portal.eu/…/strohmeyer_arn_Der%20Myth…
(8) Hier nur exemplarisch die Aussagen eines geständigen Besatzungssoldaten der „IDF“ aus einem Video der israelischen Organisation „Breaking the Silence“:https://www.youtube.com/watch?v=qhg0FDt9jJY

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Der gesamte Gesprächsverlauf ist auf Facebook einzusehen: https://www.facebook.com/bds.austria/posts/460666774121746:0?hc_location=ufi

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