Seit etwa zwei Wochen wird als Reaktion auf die jährlich stattfindende, internationale „Israeli Apartheid Week“ (IAW) ein konzertierter, medialer Feldzug gegen den lokalen Kampagnenträger BDS Austria geführt. Den Anfang dieser Kampagne setzte Benjamin Weinthal, Mitarbeiter des neokonservativen US-amerikanischen Think-Tanks „Foundation for Defense of Democracies“ mit einem Artikel in der „Jerusalem Post“ und in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“. Zeitgleich erhöhten lokale Akteurinnen und Akteure rund um die, als Reaktion auf BDS Austria gegründete, Plattform „Boycott Antisemitism“ den Druck auf das „Kulturzentrum Spittelberg im Amerlinghaus“, in dessen Räumlichkeiten zwei Veranstaltungen im Rahmen der IAW stattfinden sollten. In einem „Offenen Brief“ an den Bürgermeister Michael Häupl und an das Amerlinghaus wiederholten die VerfasserInnen die an Rufmord grenzenden Diffamierungen gegen BDS Austria und stellten unrichtige Zusammenhänge her, die die Menschenrechts-Kampagne BDS und deren lokalen VertreterInnen als „antisemitisch“ denunzieren sollen. Auch die Wiener ÖVP und die FPÖ schlossen sich am 07.03.2016 jeweils mit einer OTS-Aussendung der politischen Erpressung an und forderten das Aus des Kulturzentrums Spittelberg. Dem „Kulturzentrum Spittelberg im Amerlinghaus“ wurde schließlich seitens der Stadt Wien – namentlich der Magistratsabteilung 13 – unverhohlen der Entzug von Subventionen gedroht. In einem Telefonat hieß es sogar, die Rot-Grüne Stadtregierung könnte aufgrund der beiden Veranstaltungen im Amerlinghaus zum Rücktritt gezwungen werden.
Wir wollen im Folgenden auf die Hauptvorwürfe, Falschdarstellungen und Denunziationen eingehen:
BDS Austria ist ein Zusammenschluss von Einzelpersonen und lokalen Vereinen und Initiativen, die dem palästinensischen Aufruf nach weitgreifenden Boykott, Sanktionen und Investitionsentzug gegen Israel aus dem Jahr 2005 folgen. Weltweit wird diese, der Gewaltfreiheit verpflichtete Kampagne von unzähligen, zum Teil namhaften Personen, Gruppen, Initiativen und Institutionen, darunter dem südafrikanischen Erzbischof Desmond Tutu, der US-amerikanischen Bürgerrechtsaktivistin und Humanwissenschaftlerin Angela Davis, dem amerikanisch-israelischen Friedensaktivisten Jeff Halper, dem weltberühmten britischen Astrophysiker Stephen Hawking uvm. – getragen. Die internationale BDS-Kampagne folgt damit dem Beispiel der Anti-Apartheidbewegung, die mit ähnlichen Maßnahmen das rassistische System in Südafrika zu Fall gebracht und zu einer Aussöhnung geführt hat. Die drei zentralen Forderungen von BDS stehen im Einklang mit völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Grundlagen und lauten:
– Ende der Besatzung und fortgesetzten Kolonisierung palästinensischen Landes und Abriss der Mauer
– Anerkennung der Grundrechte der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels auf völlige Gleichheit und
– Respektierung und Umsetzung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren, wie es in der UN Resolution 194 vereinbart wurde.
Von Beginn an hat sich die internationale BDS-Kampagne unmissverständlich gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus, antijüdischer Stereotype oder Vorurteile ausgesprochen. Nicht zuletzt wird die BDS-Bewegung nicht nur von jüdischen Israelis unterstützt (Boycott from Within), sondern auch von einer wachsenden Anzahl jüdischer Organisationen und Individuen weltweit. Diese wehren sich damit vor allem auch gegen die Gleichsetzung von Judentum und Jüdischsein mit Zionismus und der israelischen Staatspolitik sowie der damit einhergehenden Instrumentalisierung ihrer Zugehörigkeit. Als Beispiele seien an dieser Stelle die Organisation „Jewish Voice for Peace“ in den USA, „Independent Jewish Voice Canada“ und in Europa verschiedene Mitgliedsorganisationen des Dachverbands „European Jews for A Just Peace“ genannt.
Den in dem „Offenen Brief an Bürgermeister Dr. Michael Häupl, die Stadt Wien sowie die Verantwortlichen im Amerlinghaus“ (ausgesendet via OTS am 7. März 2016 Vormittags) aufgestellten Verleumdungen entgegnen wir im Detail:
BDS Austria stellt sich als lokaler Kampagnenträger unzweideutig gegen jede Form des Rassismus und Antisemitismus. Die von der APA in einer Pressanfrage gestellte Frage „zur soziodemographischen bzw. ethnischen Zusammensetzung“ der Aktivistinnen und Aktivisten sowie die Frage, ob sich „unter ihren Mitgliedern z.B. auch Juden“ befänden (E-Mail des verantwortlichen Redakteurs der APA an BDS Austria, 07.03.2016), empfinden wir als höchst befremdlich, da wir keinerlei „ethnische Zugehörigkeitslisten“ führen. Um die im Kern höchst fragwürdige Anfrage dennoch zu beantworten: Unter den Aktivistinnen und Aktivisten von BDS Austria befinden sich Menschen unterschiedlicher „ethnischer“ Herkunft und religiöser (und nicht-religiöser) Bekenntnisse, auch jüdische AktivistInnen. Die Behauptung, BDS Austria oder namentlich der aktuelle Pressesprecher Oliver Hashemizadeh hätten Hamas als Widerstandsbewegung bezeichnet, ist eine glatte Lüge – man kann es leider nicht höflicher ausdrücken. Die Behauptung stützt sich auf eine Rede bei einer Kundgebung vom September 2014 (https://www.youtube.com/watch?v=8jKAC-rCD-4). Erstmals aufgetaucht ist diese Falschbehauptung im Bericht des Vereins wifno (WIFNO REPORT 02/2015), zu dessen Vorstand Andreas Peham (auch bekannt unter dem Pseudonym „Heribert Schiedl“) zählt. Pehams Engagement gegen Rechtsextremismus, Neonazismus und eine höchst anrüchige österreichische Partei wäre in höchsten Tönen zu loben und jeder Kritik erhaben, ließe sich Andreas Peham nicht zugleich dafür hergeben, antirassistische und linke Gruppen aufgrund ihrer Position zu den israelischen Menschenrechtsverletzungen zu diffamieren.
Zu den im „Offenen Brief“ und in einer Anfrage der APA erwähnte Behauptung, es häuften sich an US -amerikanischen Universitäten Vorfälle antisemitischen Gewalt; Lehrveranstaltungen von jüdischen ProfessorInnen würden regelmäßig gestört, als Jüdinnen und Juden ausgemachte Studierende am Campus belästigt:
BDS hat als internationale zivilgesellschaftliche, gewaltfrei agierende Kampagne klare und unmissverständliche Richtlinien, an die sich jede in ihrem Namen arbeitende lokale Gruppe zu halten hat. Zu diesen Richtlinien zählt u.a., dass der Boykottaufruf sich explizit NICHT gegen jüdische Einzelpersonen oder Unternehmen richtet, sondern ausschließlich gegen israelische wie nicht-israelische Produkte, Unternehmen und Institutionen, die sich an der Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung beteiligen und die Besatzung und Apartheid Israels stützen, nicht zuletzt indem sie von dieser profitieren. Dementsprechend ruft die BDS-Kampagne auch weder dazu auf, wahllos alles „Jüdische“, noch alles „Israelische“ zu boykottieren, weil es jüdisch oder israelisch ist. Das wäre in der Tat antisemitisch und eine solche undifferenzierte Logik und Vorgehensweise lehnt BDS daher ganz unmissverständlich ab. Der Boykott hingegen zielt auf die Überwindung einer politischen Struktur und fragt daher nicht nach ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit.
BDS Austria war in den vergangenen 12 Monaten umgekehrt einigen physischen Angriffen von militanten GegnerInnen aus den sogenannten „antideutschen“ Gruppierungen ausgesetzt, bei denen es auch zu Ermittlungen seitens der Polizei kam. So griffen vier Personen aus „antideutschen“ Zusammenhängen im Juni 2015 einen Infotisch von BDS Austria an und versuchten damit eine angemeldete Versammlung zu stören (https://www.youtube.com/watch?v=o8PpMi6mpes), was zweifelsfrei ein Delikt gemäß Strafgesetzbuch darstellt. Über den Stand der Ermittlungen bzw. des möglichen Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft wurden wir bisher nicht informiert. Im August 2015 kam es am Graben in Wien zu einem Vorfall, bei dem ein Aktivist von BDS Austria mit körperlicher Gewalt konfrontiert war (Ohrfeige und Kinnhaken). Die AngreiferInnen gaben in dem anschließenden Wortgefecht nach dem körperlichen Angriff zu verstehen, sie könnten die „Israelitische Kultusgemeinde“ (Mitunterstützerin der Plattform „Boycott Antisemitism“) zu Hilfe rufen und – Zitat – „dann geht es hier richtig ab“. Eine Aufzeichnung des Vorfalls auf Video wurde der Staatsanwaltschaft übermittelt und ist online unter https://www.youtube.com/watch?v=tjoxL4LmrgU dokumentiert.
Die Behauptung, die Veranstaltung fände bewusst zum 78. Jahrestag des Anschlusses Österreichs an das „Deutsche Reich“ statt, ist haarsträubender Unfug. Die „Israeli Apartheid Week“ findet jedes Jahr Ende Februar, Anfang März statt. Es ist bezeichnend und grenzt schon an die Methoden von VerschwörungstheoretikerInnen, mit welchen Mitteln versucht wird BDS in ein falsches Licht zu setzen.
Auch der in der OTS-Aussendung behauptete Zusammenhang zwischen BDS Austria und einer kurzlebigen Studenteninitiative aus dem Jahr 2003 ist eine – oft wiederholte – Diffamierung, die nicht zutrifft. Es gibt weder einen personellen, noch organisatorischen Zusammenhang zwischen jener „Sedunia“ und BDS Austria.
Als BDS Austria sind wir erschüttert über die Mittel und Methoden unserer KritikerInnen, deren Ziel es zu sein scheint, jede Diskussion über den israelisch-palästinensischen Konflikt mit allen erdenklichen Mitteln abzuwürgen. Dass dabei weder vor Diffamierungen, blanken Lügen, politischem Druck auf Veranstaltungsräume und sogar körperlicher Gewalt nicht zurückgeschreckt wird, zeigt, mit welcher undemokratischen Gesinnung hier gegen eine berechtigte Kritik an israelischer Staatspolitik und gegen eine Menschenrechtsgruppe vorgegangen werden soll.
Das Kulturzentrum Amerlinghaus informierte uns heute, dass der Vorstand dem politischen Druck nicht mehr standzuhalten in der Lage ist. Der Vortrag des israelischen Aktivisten Ofer Neiman wird daher vom Amerlinghaus verlegt und findet selbstverständlich dennoch am Donnerstag, 10.03.2016 um 18 Uhr statt (Ort wird noch bekannt gegeben). BDS Austria lädt außerdem am Mittwoch um 13 Uhr zu einer Pressekonferenz mit Ofer Neiman im Cafe Stein (Währingerstrasse 6-8, 1090 Wien) ein. Bei der Kundgebung am 11. März 2016 von 16 bis 20 Uhr am Stephansplatz wird unter anderen auch die 91jährige Holocaust-Überlebende und BDS-Aktivistin Hedy Epstein sprechen.
Wir laden alle Interessierten herzlich dazu ein, sich selbst ein Bild zu machen.
Im Anschluss dokumentieren wir die OTS-Meldungen gegen BDS Austria und die IAW 2016:
Karin Stanger (ÖH, Gras) und UnterstützerInnen
FP-Lasar fordert klare Positionierung gegen Antisemitismus in Wien (FPÖ)
Juraczka: Weiterer Skandal rund um das Amerlinghaus (ÖVP)
Stellungnahme des Vorstandes des Vereins Kulturzentrum Spittelberg (Amerlinghaus)