Offener Brief zum Anti-BDS-Beschluss der Stadt Graz

Offener Brief an den Gemeinderat Graz, betreffend Antrag und Beschluss zum 14.11.2019.

Sehr geehrte GemeinderätInnen der Stadt Graz,
wie wir erfahren haben, möchte der Grazer Gemeinderat am
kommenden Donnerstag eine Erklärung verabschieden, in der nicht nur der Antisemitismus und alle anderen abscheulichen Formen von Rassismus klar verurteilt werden, sondern in die auch eine Passage eingebracht wird, die der internationalen, gewaltfreien Menschenrechtskampagne BDS Antisemitismus unterstellt und künftig jeden öffentlichen Raum der Stadtgemeinde Graz entziehen soll.
So begrüßenswert, nachvollziehbar und notwendig eine klare
antirassistische Stellungnahme und eine Verurteilung des
Antisemitismus mehr als 70 Jahre nach dem Ende des nazifaschistischen Regimes Ihrerseits ist, können wir die Diffamierung von BDS als antisemitisch nicht hinnehmen.

Als lokale RepräsentantInnen dieser weltweiten, von der
palästinensischen Zivilgesellschaft geleiteten BDS-Kampagne, die u.a. von zahlreichen namhaften internationalen Persönlichkeiten wie Desmond Tutu, Angela Davis, Judith Butler, dem Generalsekretär von Amnesty International Kumi Naidoo,… unterstützt wird, erwarten wir von einem demokratischen und rechtsstaatlichen Gremium, dass vor einer solchen Entscheidung eine Anhörung der KampagnenträgerInnen stattfindet.

Vor einigen Monaten hatte auch der Deutsche Bundestag einen ähnlich lautenden Beschluss gefasst und wurde jüngst vom Vertreter des Hohen Uno-Kommissars für Menschenrechte gerügt und zu einer Stellungnahme aufgefordert. Aus dem Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte hieß es am 18.10.2019: „Wir möchten unsere Sorge zum Ausdruck
bringen, dass der Beschluss einen besorgniserregenden Trend setzt, die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unverhältnismäßig einzuschränken. (…) Der Beschluss greift unverhältnismäßig in das Recht der
Menschen auf politische Meinungsäußerung in Deutschland
ein, nämlich Unterstützung für die BDS-Bewegung zum
Ausdruck zu bringen“.

Auch unmittelbar nach diesem Beschlusses kritisierten 240
jüdische und israelische Wissenschaftlerinnen, darunter namhafte Holocaust-ForscherInnen aus den USA und Israel, dass „der Beschluss die ausdrückliche Ablehnung aller Formen von Rassismus, einschließlich Antisemitismus durch die BDS-Bewegung“ ignoriere, dass „viele jüdische und israelische Einzelpersonen und Gruppen BDS entweder ausdrücklich unterstützen oder das Recht darauf verteidigen“, und kamen zu dem Schluss, dass „der Anstieg des Antisemitismus eindeutig nicht die Sorge“ sei, „die den vom Bundestag beschlossenen Antrag inspiriert“ habe, „im Gegenteil, dieser Antrag ist von den politischen Interessen und der Politik der am stärksten rechtsgerichteten Regierung Israels in der Geschichte des Landes angetrieben“, wie es am Ende dieses Statements heißt.

(https://de.scribd.com/document/412474418/Aufruf-von-240-Judischen-und-Israelischen-Wissenschaftlern-an-die-Bundesregierung-zu-BDS-und-Antisemitismus
[1]).

Alle Prinzipien und Richtlinien der BDS-Kampagne basieren
unmissverständlich auf geltendem Menschen- und Völkerrecht, die drei zentralen und einzigen Forderungen der BDS-Bewegung sind samt und sonders konform mit den Beschlüssen der UNO, der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Völkerrecht. Inspiriert ist die BDS-Bewegung von der Anti-Apartheidbewegung gegen das zu Fall gebrachte rassistische Regime Südafrikas, die mit friedlichen Mitteln des Boykotts politischen Druck ausgeübt hatte. Nicht zuletzt deshalb, wird die BDS-Kampagne auch von namhaften VeteranInnen des Anti-Apartheidkampfes unterstützt. Dass die israelische Regierung und lokale UnterstützerInnen der israelischen Regierungspolitik die Verbrechen des Nationalsozialismus und insbesondere dessen abscheulichen, menschenverachtenden Slogan
„Kauft nicht bei Juden“ der BDS-Bewegung, ihren Forderungen und Vorgehensweisen andichten – und damit die
Verbrechen des Nazi-Regimes und des Antisemitismus wissentlich und grob fahrlässig verharmlosen, ist nur eine der grotesken Begleiterscheinungen in ihrem Bemühen, die legitimen Forderungen der PalästinenserInnen zu diffamieren und eine Ächtung der BDS-Bewegung in demokratischen Gremien zu erreichen.

Wir appellieren dringend an Sie und fordern Sie als demokratisch gewählte VertreterInnen der zweitgrößten Stadt
Österreichs auf, diese diffamierende Passage ersatzlos zu
streichen und diesen geplanten, gravierenden Eingriff städtischer und staatlicher Stellen in den Meinungsbildungsprozess einer demokratischen Gesellschaft zu unterlassen.

Mit freundlichen Grüßen,
Ruth Moshkovitz & Gerhard Summer
(Für BDS Austria)

Foto: Screenshot vom 13.11.2019, https://www.graz.at/

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