Über das Silencing von israelkritischen Stimmen, insbesondere der von BDS-UnterstützerInnen. Eine Einladung zum Verlernen

Foto: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gayatri_Spivak_on_Subversive_Festival.jpg

Heute findet im Wiener Rathaus im Kreise der Notabeln der Stadt und interessiertem Publikum die Eröffnung der Wiener Festwochen statt. Als Eröffnungsrednerin wurde Gayatri Chakravorty Spivak eingeladen. Als Mitbegründerin der postkolonialen Theorie und mit ihren Beiträgen zu Feminismus, Marxismus, Dekonstruktion und Globalisierung leistet Spivak seit Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zur intellektuellen und akademischen Auseinandersetzung mit Kolonialismus, Rassismus und Gewaltverhältnissen. Als Titel der heutigenVeranstaltung haben die OrganisatorInnen Grace Lee Bloggs rhetorische Frage „What Time is it on the Clock of the World?“ gewählt und verweisen auf der Website darauf, dass Grace Lee Bloggs sich als US-amerikanische Bürgerrechtsaktivistin, Philosophin und Feministin für sozialen Wandel, für die Arbeiterbewegung und die Rechte der afro-amerikanischen Bevölkerung einsetzte. Lee Bloggs, so der Ankündigungstext, „verbindet das Bewusstsein für die historische Verortung aktueller Entwicklungen mit dem aktivistischen Moment zur Veränderung der bestehenden Verhältnisse: Wie spät ist es auf der Weltzeituhr? Und im gleichen Atemzug: What would be the right thing to do right now?” (1)

Grace Lee Bloggs würde uns mit Sicherheit zustimmen, dass es eines der „richtigen Dinge“ ist, die jetzt unmittelbar zu tun wären, PalästinenserInnen bei ihrem Kampf gegen Besatzung, Ausbeutung und systematische Diskriminierung und für Gleichberechtigung und ein menschenwürdiges Leben zu unterstützen. Schließlich war sie bekennende Unterstützerin der BDS-Bewegung, die den Staat Israel mit den gewaltfreien Protestmitteln von Boykott, Desinvestition und Sanktionen dazu bewegen möchte, sich endlich an seine völker- und menschenrechtlichen Verpflichtungen gegenüber der palästinensischen Bevölkerung zu halten. Fast in ihren letzten Atemzügen protestierte sie 2014 gegen die Aufführung des Films „American Revolutionary: the Evolution of Grace Lee Boggs” beim DocAviv Festival in Tel Aviv und zeigte sich damit auch als kompromisslose Unterstützung eines kulturellen Boykotts. In einem gemeinsam Statement von ihr und weiteren ProtagonistInnen des Films heißt es: „We stand in solidarity with the people of Palestine, and support their call for cultural and academic boycott of Israel… we were shocked to find the film slated to be screened at the DocAviv festival in Israel on May 13th and 15th. This was scheduled without our knowledge.” (2)

Das palästina-solidarische Engagement von Grace Lee Boggs und ihre Unterstützung der BDS-Kampagne finden keine Erwähnung im Rahmen der Ankündigung der heutigen Veranstaltung mit Gayatri Chakravorty Spivak. Aus folgenden zwei Gründen wäre dies aber gerade in diesem Kontext unserer Meinung nach so wichtig:

1. Zum heutigen Auftakt der Festwochen wird sich voraussichtlich unter anderem die politische Elite der Stadt einfinden, die sowohl direkt als auch indirekt dafür verantwortlich ist, dass der BDS-Bewegung in Wien im wahrsten Sinne des Wortes kein Raum gegeben wird. Der amtsführende Stadtrat für Kultur Wissenschaft und Sport in Wien, Herr Andreas Mailath-Pokorny, beispielsweise war gemäß gut informierten Insiderkreisen kürzlich direkt dafür verantwortlich, dass eine geplante BDS-Veranstaltung im März diesen Jahres nicht im WUK stattfinden durfte (es gilt die Unschuldsvermutung). (3) Insofern ist es nur als verlogen zu betrachten, wenn sich selbige StadtpolitikerInnen, die sonst eine emanzipatorische Bewegung wie die BDS-Kampagne öffentlich diffamieren, denunzieren und in gewisser Hinsicht für deren Zensurierung sorgen, nun in einen Vortrag setzen, der sich auf eine BDS-Unterstützerin bezieht.

2. Der heutige Vortrag von Gayatri Chakravorty Spivak ist Teil der neuen Festwochen-Programmschiene „Akademie des Verlernens“, die laut VeranstalterInnen „vielfältige Zugänge zu einer Pluralisierung der Perspektiven und zur Dekolonisierung von Körper und Geist, zum Erkennen unsichtbarer Markierungen und zum Überwinden kultureller Konditionierungen, zum Schmieden neuer Allianzen und zur Umverteilung“ bieten soll. (4) Dieses nicht nur ehrenwerte, sondern dringend notwendige Vorhaben unterstützen wir vollkommen und wir sehen auch, wie es sich in der Tat im heurigen Festivalprogramm äußert. Als umso wichtiger empfinden wir es daher, dass diese Dekolonisierung und Umverteilung und das Schmieden neuer Allianzen (in der Stadt und darüber hinaus) gerade auch in Bezug auf Palästina passiert – denn dort ist Kolonisierung nicht Vergangenheit, sondern alltägliche Gegenwart.

Insofern laden wir die neuen VeranstalterInnen der Wiener Festwochen hiermit zum Verlernen ein: zum Verlernen des zum Schweigen Bringen und/oder nicht-Erwähnens israelkritischer, palästinasolidarischer Stimmen, insbesondere derer von BDS-UnterstützerInnen. Vielleicht ist es ja im Rahmen der Veranstaltung „Schwitzkasten-Inventur – Faktencheck 2017“ mit Prof*X Azadeh Sharifi am 27.5.2017 möglich, unsere Kritik zu diskutieren?

(1) http://www.festwochen.at/programm/detail/what-time-is-it-on-the-clock-of-the-world/

(2) http://www.timesofisrael.com/danny-glover-pushes-for-tel-aviv-festival-boycott/

(3) http://bds-info.at/zur-aufkundigung-der-raumlichkeiten-fur-veranstaltungen-im-rahmen-der-israeli-apartheid-week-iaw-2017-durch-das-wuk/

(4) http://www.festwochen.at/programm/detail/akademie-des-verlernens/

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