Aufruf zum Protest und zur Solidarität: Steirischer Justizskandal

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Aufruf zum Protest und zur Solidarität:

Steirischer Justizskandal – Urteil voller rassistischer Vorurteile und bar jeder demokratischen Rechtsgrundlage

English below!

In Österreichs südlichem Bundesland Steiermark zeigt ein (nicht rechtskräftiges) Gerichtsurteil, welche Blüten rassistische Arroganz, politisch rechtslastige Justiz und zionistische Stimmungsmache treiben und wie sie demokratische Grundrechte aushöhlen können.

Bei einer angemeldeten Demonstration gegen die israelischen Massaker in Gaza im Sommer 2014 in Graz fanden sich vier Provokateure ein, die lachend, Grimassen schneidend und Beschimpfungen gegen die DemonstrantInnen ausstoßend, israelische Fahne schwenkten. Die Empörung der DemonstrantInnen über die Bombardierung einer wehrlosen Zivilbevölkerung, eingeschlossen auf einem Gebiet so groß wie Wien und ohne Fluchtmöglichkeit, war spürbar. Die Demo verlief ordnungsgemäß und ruhig bis zu dem Zeitpunkt, da die Provokateure auftauchten. Da die Polizei ihrer Pflicht, die Provokation zu beenden und die nicht angemeldete Gegenversammlung aufzulösen, nicht nachkam, beauftragte der offizielle Versammlungsleiter die Ordner einzuschreiten. Die Fahnen wurden den Provokateuren abgenommen, Demonstranten entrissen dem Ordner (und späteren Angeklagten) schließlich im Tumult die Fahnen und verbrannten diese. Die Demo konnte in der Folge ohne weitere Zwischenfälle fortgesetzt werden.

Das öffentliche Verbrennen von Flaggen ist in der Regel eine symbolische Handlung, um gegen einen Staat oder dessen Politik im Rahmen einer Demonstration zu protestieren. Üblich und alltäglich war dies beispielsweise bei den Protesten gegen den Vietnamkrieg, bei deren Demonstrationen Flaggen der Vereinigten Staaten von Amerika sowohl in den USA selbst, als auch in Westeuropa verbrannt wurden. Die Linke in Westeuropa verwendete diese Protestform regelmäßig bei Protesten gegen die Kriege der USA. Verbrannt wurden dabei aber auch oft Fahnen des eigenen Landes, wenn damit auf den Zusammenhang zwischen dem Krieg der USA und der Komplizenschaft des eigenen Landes hingewiesen werden sollte. Das Verbrennen ausländischer Flaggen ist beispielsweise in Deutschland nur dann strafbar, wenn es sich um eine offizielle Fahne handelt, also eine nach anerkanntem Brauch öffentlich gezeigte Flagge eines ausländischen Staates, oder um ein Hoheitszeichen eines solchen Staates, das von einer anerkannten Vertretung dieses Staates (beispielsweise der Botschaft) öffentlich angebracht worden ist. In Österreich ist die Flaggenverbrennung nicht verboten, auch hier gilt, dass das „Herabwürdigen fremder Symbole“ nur dann strafbar ist, wenn diese Fahnen von den eigenen oder fremden Behörden angebracht wurden.

Da nun weder die Provokateure die offizielle Vertretung des Staats Israel waren, noch die DemonstrationsteilnehmerInnen, die die Flaggen tatsächlich verbrannten und angeklagt wurden, noch diese Handlung an sich strafrechtlich relevant ist, bemühte sich die Staatsanwaltschaft Graz drei Jahre lang um die Konstruktion eines Straftatbestandes. Der Demonstrationsordner, ein junger Mann ägyptischer Herkunft, wurde schließlich wegen dreier vermeintlicher Tatbestände angeklagt: Nötigung (Wegnehmen der israelischen Fahne von den Provokateuren), Sachbeschädigung (der israelischen Fahne), und Verhetzung (die Verbrennung der Fahne sei gegen die Religionsgemeinschaft der JüdInnen gerichtet). Im Juni 2018 folgte das Urteil.

Die anwesende Polizei stoppte das provokative Fahnenschwenken nicht. Sie verwies diese Personen nicht des Platzes, verfolgte sie nicht und forschte sie nicht aus. Obwohl ihr Auftauchen eine unangemeldete Demonstration darstellte und ganz offensichtlich den Zweck verfolgte, die Ruhe und Ordnung zu stören. Im Gegensatz dazu rechtfertigte der Staatsanwalt in seinem Strafantrag das Auftauchen der Provokateure mit Art. 10 MRK, dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Dem Demonstranten hingegen unterstellte er ohne jegliche Beweisgrundlage und völlig aus der Luft gegriffen „im Hinblick auf die HAMAS-Charta“ eine Verächtlichmachung von israelischen Staatsangehörigen und der Religionsgemeinschaft der Juden „hetzend im Sinne des § 283 Abs 2 StGB“. Dies obwohl auf besagter Demonstration weder von der Hamas, noch von sonst einer Partei oder Organisation die Rede war und auch keine Slogans oder Plakate vorhanden waren, die dahingehend interpretierbar gewesen wären. Dies außerdem, obwohl die Aufrufenden und Demonstrations-AnmelderInnen seit Jahren für ihr vielfältiges Friedensengagement z.B. auch im Rahmen der Sozialforumsbewegung, gegen Rassismus, Antisemitismus und Faschismus bekannt sind.

ProzessbeobachterInnen berichteten, dass sowohl Staatsanwalt und Richter im Laufe der Verhandlungen geradezu krampfhaft bemüht waren, Querverbindungen zwischen der Herkunft der DemonstrantInnen und EntlastungszeugInnen und diversen mit „Terror“ assoziierten Organisationen herzustellen. Nicht nur der Angeklagte, sondern auch Zeugen ägyptischer Herkunft wurden immer wieder befragt, ob sie Mitglieder der Muslimbrüderschaft wären. Da die Muslimbrüderschaft aber auch keine gelistete Terrororganisation ist, musste ein Zusammenhang mit der Hamas konstruiert werden. Einen Zeugen afghanischer Herkunft wiederum musste der Staatsanwaltschaft mit dem willkürlich in den Raum geworfenen Wort „Taliban“ klassifizieren.

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch, dass die Grazer Justiz in der jüngsten Vergangenheit kein Problem damit hatte, tatsächliche Hetzreden und antisemitische Auswürfe der FPÖ-nahen Zeitschrift „Aula“, welche das deutschnationale bis rechtsextreme Milieu in Österreich repräsentiert, zu tolerieren und 2015 ein Verfahren gegen die „Aula“ mit der Begründung einzustellen, es sei „nachvollziehbar“, dass die 1945 befreiten Insassen aus dem KZ Mauthausen eine „Belästigung“ für die Bevölkerung darstellten (!) (1). Erst nach Protesten aus der Zivilgesellschaft und Berufung verurteilte der Oberste Gerichtshof die Zeitung (2). Gleich der Stoßrichtung der rechtsextremen FPÖ in ihrem Versuch, sich von ihrem historischen Antisemitismus reinzuwaschen und diesen muslimischen MigrantInnen zu unterstellen, konstruiert der Staatsanwalt daher auch entgegen aller Tatsachen einen „islamischen Antijudaismus“.

Hinsichtlich des politisch besonders heiklen Tatbestands der Verhetzung hatte der Rechtsvertreter des Angeklagten überzeugend ausgeführt, dass jene Sachverhalte, die das Strafgesetz vor Verhetzung schützt, im § 283 StGB taxativ aufgezählt sind, Staaten und deren Fahnen als Symbole dort aber als Schutzgüter nicht genannt sind. Eine diesbezügliche Verurteilung habe daher keine rechtliche Grundlage. Der Richter zeigte sich kurz nachdenklich, blieb aber dann bei seinen offensichtlich vorgefassten Schuldsprüchen.

Der Schuldspruch des Richters in allen drei Anklagepunkten war das vorhersehbare Ergebnis dieses Prozesses. Graz gilt zudem als eine Hochburg von Burschenschaften, deren „Alte Herren“ bei Ämtern und Behörden großen Einfluss haben (3).

Der von der Justiz betriebene Aufwand, um über vier Jahre hinweg zu dieser Verurteilung zu kommen, gibt Anlass zur Vermutung, dass es sich bei dem Prozess und seinem Verlauf um sichtbar gewordene migrations- und islamfeindliche Voreingenommenheit handelt, zugleich ein Präzedenzfall geschaffen werden soll, der Palästinasolidarität kriminalisiert.

DemonstrantInnen für Frieden und Gerechtigkeit zu kriminalisieren, sie als „Mob“ zu bezeichnen, ihnen „Terrorsympathien“ zu unterstellen, ist Ausdruck genau jener israelischen Koloniallogik, die solcher Sprache Bomben folgen lässt. Graz ist nicht Gaza. Aber in diesem Gerichtssaal waren die Machtverhältnisse spiegelbildlich.

Das Urteil lautete auf fünf Monate, bedingt auf drei Jahre. Der angeklagte palästina-solidarische Demonstrant hat Berufung eingelegt.

Lassen wir diesen Prozess nicht zum Auftakt für eine weitere Kriminalisierung durch konstruierte Unterstellungen werden. Protestieren wir gemeinsam gegen dieses Urteil.

Wir fordern:

• Aufhebung des Urteils und Freispruch in allen Anklagepunkten
• Schutz und Rechtssicherheit für Kundgebungen und Demonstrationen vor Provokateuren
• Ein Ende der Kriminalisierungsversuche palästinasolidarischer Proteste, Organisationen und Kampagnen.

Um Spenden für die Rechtsanwaltskosten gegen dieses Unrechtsurteil wird dringend ersucht:
Spendenkonto:

Sparda Bank
Empfängername: Steirische Friedensplattform
IBAN: AT94 4300 0000 0005 2128
BIC: VBOEATWW
Zweck: Gaza Prozess

Fußnoten
1 https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/politik/814351_Schwere-Ruege-fuer-die-Aula.html
2 https://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/5151645/Artikel-ueber-KZHaeftlinge_OGH-entscheidet-gegen-Aula
3 https://www.vice.com/de_at/article/wdk9qn/warum-die-stadt-graz-den-congress-an-burschenschaften-vermietet-263

Basierend auf dem Artikel der Steirischen Friedensplattform (http://www.friedensplattform.at/?p=4775)


Enlish version:

Call for Protests and Solidarity:

Scandal in the Courts of Styria – a verdict based on racist prejudices and devoid of legitimate evidence was issued

In Styria, a province in Austria’s south, a verdict that is still subject to appeal shows how racist arrogance, right-wing justice and Zionist propaganda can erode basic democratic rights.

In the summer of 2014, during an authorized demonstration against the massacre that Israeli forces were committing in Gaza, four provocateurs appeared waving Israeli flags, laughing, making faces and hurling insults at the demonstrators. The outrage of the demonstrators against the bombardment of a defenseless civilian population, confined to an area the size of Vienna, was evident. Nevertheless, the demonstration proceeded in an orderly fashion until the provocateurs arrived. Because the police failed in their duty to end the provocation by dissolving the unannounced and unauthorized counter-demonstration, the leader of the authorized demonstration asked his marshals to take action. The flags were taken from the provocateurs, but demonstrators tore them from the marshal’s hands and burnt them. (The authorities subsequently charged the marshal.) Thereafter the demonstration continued without incident.

During demonstrations, the public burning of flags is generally considered a symbolic act of protest against a state or its policies. Doing so was a common practice during protests against the Vietnam War in the United States of America, as well as in Western Europe. The Left in Europe used this form of protest regularly against the US wars. Frequently, the flags of the demonstrators’ own countries were also burned, particularly when their complicity with the USA was to be highlighted. The burning of foreign flags in Germany, for example, is punishable only if it involves the “official” flag, i.e. a flag that is publicly displayed according to accepted traditions as a national emblem of that state, and that was displayed by the recognized representation of this state (e.g. an embassy).

In Austria the burning of flags is not forbidden; here too, the “dishonoring or vilifying of foreign symbols” is punishable only if it involves flags that were put on display by Austrian or foreign authorities.

These circumstances posed a dilemma for the prosecutors in Graz: the provocateurs were not official representatives of the state of Israel, the demonstrators who actually burned the flags were not accused, nor would their actions have been punishable under the law. As a result it took the district attorney’s office in Graz three years to construct a case. One of the marshals, a young man of Egyptian origin, was eventually charged on three counts: coercion (taking the Israeli flag from the provocateurs), causing damage (to the Israeli flag), and inciting hate (the flag-burning was said to be directed against the Jewish religious community). The verdict was pronounced in June of 2018.
The police present at the scene had not stopped the provocative waving of flags. In spite oft the fact that the counter-demonstrators’ appearance constituted an unannounced and unauthorized demonstration, and obviously was intended to disrupt the public peace and order, the police failed to order them to leave, did not pursue them, and subsequently did not attempt to locate them. The state’s attorney, contrary to these facts, justified the appearance oft the provocateurs by citing the right to freedom of speech as laid out in Article 10 of the European Convention of Human Rights. On the other hand, he alleged, without any evidence whatsoever, that the demonstrators engaged in contemptuous acts against Israeli citizens and the Jewish religious community “in terms of the HAMAS-Charta,” i.e. of “inciting in the sense of § 283 par. 2 of the criminal code.” All this, in spite of the fact neither Hamas nor any other organization was mentioned at the demonstration, nor were there any slogans or signs that could have been interpreted to be of such provenance, and notwithstanding the fact that the persons that had called for the demonstration and announced it to the authorities have been know for many years for their manifold engagement with the Social Forum movement, against racism, anti-Semitism, and fascism.

Observers of the trial reported that in the course of the proceedings the prosecutor as well as the judge made extreme efforts to link the origins of demonstrators and of witnesses on their behalf to various “terror-related” organizations. Not just the accused, but also witnesses of Egyptian origin were repeatedly asked if they were members of the Moslem Brotherhood. But, because the Moslem Brotherhood is not officially listed as a terrorist organization, a connection with Hamas had to be constructed. In addition, the prosecutor arbitrarily labeled a witness of Afghan provenance as “Taliban.”

In this connection, it is worth mentioning that in the recent past the justice system in Graz had no problem tolerating the actual hate-speech and anti-Semitic diatribes of the magazine “Aula,” which is close to the right-wing Freedom Party (FPÖ), and represents Germanic nationalism and the extreme-right milieu in Austria. In 2015, a case against the “Aula” was dropped on the grounds that it was “comprehensible” that in 1945 the liberated inmates of the concentration camp Mauthausen constituted a “nuisance” for the rest of the population (!). Only after protests from civil society and in the course of a legal appeal was the “Aula” found guilty by the High Court. Just as the extreme-right FPÖ tries to cleanse itself of its historical anti-Semitism by imputing it to Moslem migrants, the prosecutor in this most recent case, contrary to the facts, constructs the phenomenon of “Islamic anti-Judaism.”

Given the particular political sensitivity of the charge of “incitement” the attorney of the defendant took great care to explain that the matters, which are legally protected against incitement, are exhaustively listed in § 283 of the criminal code, but that states and their flags (as symbols) are not mentioned there. Consequently, a verdict that rests on such facts has no legal basis. The judge appeared to briefly reflect on this argument, but in the end pronounced his evidently predetermined guilty verdict.

The verdict on all three counts was the foreseeable result of these proceedings. In addition, the city of Graz figures among the strongholds of right-wing Germanic Student Associations whose “old boys” are influential in institutions and authorities.
The costs and efforts required to reach this verdict over a period of four years gives reason to suspect that this trial and the events that preceded it exemplified obvious prejudices against migrants and Islam, and that simultaneously a precedent for criminalizing solidarity with Palestine was to be created.
Criminalizing demonstrators who demand peace and justice, calling them a mob, alleging that they harbor “sympathy for terrorism” is a perfect expression of the Israeli colonial logic in which bombs follow words. Graz is not Gaza. But the power relations in this courtroom were a mirror image.

The accused was given a suspended sentence of five months and three years of probation. The Palestinian solidarity activist has appealed.

We must not allow this trial become the starting point of a process in which invented allegations lead to criminalization. Let us protest together against this verdict.

We demand:
• that the verdict be overturned and the accused be cleared of all charges,
• protection of protests and demonstrations, in the physical and legal sense, against provocateurs,
• an end to the attempts to criminalize solidarity for Palestine as expressed in protests, and embodied by organizations and campaigns.

Contributions to the legal costs that will be incurred in fighting this miscarriage of justice are urgently needed.

Please send donations to
Sparda Bank
Empfängername/Recipient: Steirische Friedensplattform
IBAN: AT94 4300 0000 0005 2128
BIC: VBOEATWW
Zweck/Purpose: Gaza Prozess

This appeal is based on an article of the “Steirische Friedensplatform“ (Styrian Platform for Peace): http://www.friedensplattform.at/?p=4775

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