Der Import israelischer Sicherheits-, Waffen- und Überwachungsindustrie in die Länder der EU als Antwort auf die Flüchtlingskrise, die fatalen Auswirkungen einer neoliberalen Wirtschaftsstrategie und Kriegspolitik
„Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort, bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen Ort.“
– Martin Luther King
Wir, BDS Austria, sehen den geplanten und kurzfristig abgesagten Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Christian Kern in Israel in einem äußerst kritischen Licht. Er stellt den Höhepunkt der vergangenen diplomatischen Initiativen Österreichs von Außenminister Sebastian Kurz, Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil und Staatssekretärin Muna Duzdar dar. Diese Besuche fallen in eine Zeit der absoluten Kolonisierung der palästinensischen Bevölkerung durch eine israelische Regierung, die von vielen KennerInnen als eine der rechtsgerichtesten, wenn nicht sogar die rechtsgerichteste in der Geschichte Israels angesehen wird. Landraub, das Leben und Sterben in den Trümmern Gazas und die Verhöhnung der Forderungen nach Selbstbestimmung werden geschützt durch „shoot to kill“-Kampagnen der israelischen Armee und Angriffe faschistischer SiedlerInnen. Durch die Besuche hochrangiger österreichischer PolitikerInnen wird das Unnormale in Israel-Palästina zur Normalität, wird die de facto dort herrschende Apartheid indirekt legitimiert. Abseits dieser politischen und diplomatischen Dimension haben die Besuche auch konkrete Zielsetzungen im Bereich des militärisch-industriellen Komplexes: Europäische Staaten bewaffnen sich ideologisch und technisch – und damit im wahrsten Sinne des Wortes – mit israelischem Know How auf dem Gebiet der digitalen Überwachung und der Abtrennung von ausgesonderten Bevölkerungsgruppen, um die Abschottung Europas von geflüchteten Menschen voranzutreiben.
Wir fordern, dass österreichische und europäische PolitikerInnen sich nicht zu KomplizInnen und ProfiteurInnen des israelischen Apartheidstaates und dessen zum Teil höchst technologisierten Unterdrückungsmechanismen machen. Stattdessen muss/soll Israel auf politischer, ökonomischer, akademischer und kultureller Ebene umfassend boykottiert werden, bis es seine völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllt.
Segregation 2.0
Im November 2016 besuchte Verteidigungsminister Doskozil Israel. Dabei stattete er unter anderem auch einem Teilabschnitt der israelischen Grenze zum Sinai einen Besuch ab, wo er die Grenzanlage, deren Zaun jetzt stellenweise von sechs auf zehn Meter erhöht wird, bestaunte. 360-Grad-Kameras am Boden und mittels Drohnen auch in der Luft sichern dort die Grenze. Sein Effizienztraining bei McKinsey – das Unternehmen berät die deutsche Bundesregierung für teures Geld dabei, wie in Sachen Geflüchtete Geld gespart werden kann[1] – scheint Doskozil verstanden zu haben: Laut ihm sei so eine Anlage zwar teuer in der Anschaffung, spare aber Personal.[2]
Noch gar nicht all zulange ist es her, da hat Silvio Berlusconi gefordert, man solle Flüchtlinge in Europa behandeln wie Israel die Menschen in Gaza behandelt. Das deutete zumindest der Wirtschaftsexperte und BDS-Aktivist Shir Hever bei einem Vortrag in Wien an.[3] Diese sich in Aussagen wie von Berlusconi oder Doskozil äußernde aggressive Politik des realexistierenden Neoliberalismus wird nicht nur Grenzzäune um Europa herum bauen, um es von außen abzuschotten. Vielmehr zielt sie ebenso darauf ab, im inneren Europas Anlagen und Sonderzonen zu errichten, um unliebsame Gruppen von Menschen vom Rest der Gesellschaft zu isolieren[4] – und rentabel zu verwalten. BürgerInnen in der EU werden dank Pressberichten mitgenommen auf die Einkaufstour, denn die dafür notwendigen Technologien werden der Bevölkerung als Sicherheit bzw. Sicherheitsmaßnahmen verkauft.
Überwachung 2.0
Guter Journalismus zeigt sich manchmal in klaren Worten. Anfang Jänner 2017 erklärte Ben Segenreich, der langjährige Israel-Korrespondent des österreichischen Rundfunks, in einer Nachrichtensendung, was sich hinter dem fast schon hektisch beschworen Begriff der „Digitalisierung“ verbirgt: „In Tel Aviv ließ sich Munar Duszdar über die vielgepriesene Startup Szene unterrichten. Österreichische Gäste tauchen hier jetzt regelmäßig auf, um sich etwas abzuschauen. Die Erklärung des Erfolgs liegt in der Mischung aus militärischer Notwendigkeit, Risikomentalität und geschickter Förderung.“ [5] Klarer hätte die BDS-Bewegung nicht bergründen können, warum solche Startups zu boykottieren sind. So wie die meisten Firmen und Universitäten sind sie eng mit dem Militär verknüpft.[6] Ehemalige BesatzungssoldatInnen nehmen in ihren neuen Rollen als Startup-HeldInnen viele Ideen aus der Armee mit in ihre Firmen und dienen dieser damit auch nach ihrem aktiven Armeedienst weiter mit Gedankengut, Konzepten, Techniken, Softwareprogrammen und Hardware. Ohne die „geschickte Förderung“ durch den israelischen Apartheidstaat wäre dies in einem krisengeplagten Land wie Israel gar nicht erst möglich.
Rassismus 2.0
Was den Menschen – und dabei besonders den marginalisierten – in Zukunft in Österreich und anderen europäischen Ländern blüht, lässt sich am besten an der österreichischen Wahl zum Bundespräsidenten 2016 und den zukünftigen Koalitionen ablesen. Der Kandidat der Mitte, Alexander van der Bellen, konnte letztendlich nur eindeutig an Stimmen gewinnen, weil er in seiner Kampagne weit nach rechts gerückt ist. Sein Wahlkampf hat ein „Wir“ verwendet, das niemals definiert, aber mit Bergpanoramen gut verkauft wurde. Van der Bellen vermied ein Bekenntnis zur Einwanderung und zu sicheren Fluchtrouten. Als ehemaliger Politiker der Grünen Partei, einer vermeintlichen Friedenspartei, gab es von ihm dennoch kein Statement zur aggressiven Kriegspolitik der EU.
Ähnlich finden sich Übereinstimmungen im Verhältnis der FPÖ und der SPÖ zu Israel. Für die europäische extreme Rechte, der die FPÖ tonangebend angehört, ist Israel ein Bollwerk gegen den Islam und Methoden à la Israel, um Individuen und ganze Gruppen von Menschen zu disziplinieren, sind legitim. Die SPÖ und die europäischen Großparteien sind ihrer Stammwählerschaft eine ausgewogenere Argumentation schuldig. Diesen wird mit dem Verweis auf die Geschichte des Holocausts die politische und militärische Kollaboration mit Israel und die Duldung der Besatzung mit dem gemeinsamen historischen Erbe der TäterInnen- und Opfernationen des Zweiten Weltkriegs erklärt. Beide, die extreme Rechte und die großen Volksparteien, übertreffen sich so in ihrem affektiven Verhältnis zum Zionismus, welchen sie mit dem Judentum gleichsetzen. Wenngleich aus unterschiedlichen Motiven legitimieren sie somit beide Besatzung, Vertreibung und Apartheid sowie Absperrung, Überwachung und massive Repressionen als Durchsetzungsmittel von ersteren. Sowohl im Narrativ der SPÖ als auch in dem der FPÖ wird Israel zum Modellstaat für die Bewältigung der (permanenten) Krisen der heutigen Zeit.
Fazit
„Dass Sicherheit zum bestimmenden Dispositiv für die Politik geworden ist, bedeutet, dass Sicherheit der Antrieb und der Vorwand ist, um auf globaler Ebene Kriege zu legitimieren, Staatschefs abzuhören und überall, sei es auf Bahnhöfen oder öffentlichen Plätzen, Überwachungskameras zu installieren, um der angeblich allgegenwärtigen Terrorgefahr zu begegnen. Auf der Klaviatur der Sicherheitspolitik findet sich eine Reihe neuer Tasten: Vorratsdatenspeicherung, biometrische Reisepässe, Überwachungsdrohnen, Gendatenbanken, das Sammeln von Datensätzen von Flugpassagieren, Kameras mit integrierter Gesichtserkennung, Bundestrojaner, RFID-Chips und eine zunehmende Vernetzung von Sicherheitsdiensten, Polizeien und Konzernen.“ [7]
Eigentlich hätte die Aufdeckung der Überwachungstätigkeiten der NSA die europäischen BürgerInnen aufrütteln müssen. Datensammlung und Digitalisierung werden gemäß der heutigen neoliberalen Arbeitsteilung von privaten Firmen (Startups und Großkonzerne wie G4S) unternommen und von den politisch Verantwortlichen in schöne und befriedete Worte verpackt.
Frei nach Gustav Noske, könnte man heute sagen: „Einer muss der Digitalisierer sein!“[8] Gesellschaftlich wird mehr oder weniger permanent die Freigabe von Daten unter Berufung auf Sicherheit verlangt, quasi präventiv. De facto kommt dies der Aufforderung nach einer massiven Kollaboration der BürgerInnen mit dem neoliberalen Staat gleich, der sich kaum eine/r noch entziehen kann. Das klassische „Die Polizei bittet um Hilfe bei der Aufklärung“ bekommt in diesem Licht eine völlig neue Dimension und Bedeutung.
Israel als Modellstaat und Vorbild für Kontrolle und Überwachung zu nutzen, sich an seinen Technologien zu orientieren und dies in der EU als verantwortungsvolle und nachhaltige Regierungsarbeit zu verkaufen, ist nicht zu akzeptieren.
Wir fordern, dass österreichische und europäische PolitikerInnen sich nicht zu KomplizInnen und ProfiteurInnen des israelischen Apartheidstaates und dessen zum Teil höchst technologisierten Unterdrückungsmechanismen machen. Stattdessen muss/soll Israel auf politischer, ökonomischer, akademischer und kultureller Ebene umfassend boykottiert werden, bis es seine völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllt.
[5] ZIB 2 vom 04.01.2017, Minute 27:18.
[6] Zu den zahlreichen engen Verflechtungen zwischen Universitäten und anderen Hochschulen, Waffenfirmen und dem Militär in Israel siehe ausführlich folgende umfassende Broschüre von 2009: http://bdsmovement.net/files/2011/02/EOO23-24-Web.pdf