Redebeitrag – Demo: Nein zur Vertreibung von PalästinenserInnen aus Jerusalem

Unsere Rede auf der Demo gegen die Vertreibung der PalästinenserInnen aus Jerusalem (12.05.2021):

„Nie wieder“, so hieß es einmal, würde diese Gesellschaft erinnern.
„Nie wieder“, so versprach diese Gesellschaft, sie würde nicht mehr untätig sein.
Aber „nie wieder“, versprach diese Gesellschaft und brach ihr Wort.
Heute heißt es:
„IHR wieder“. Im doppelten Sinne der Aussage und Anklage.
„Ihr“, die nicht „wir“ seid, seid dieses „wieder“.
„Ihr“, die nicht „wir“ seid, werdet schuldig gesprochen für jenes, das „wir“ einst getan haben.
„Ihr“, die nicht „wir“ seid, seid dieses „wieder“.
„Ihr“, die nicht „wir“ seid, sollt Opfer werden und sollt die Unterdrückung dieses „Wieders“ spüren.
Und wir, die nie wieder etwas damit zu tun haben wollen, schauen zu und lassen euch verrotten.
Ihr, die nicht wir seid, seid Sühne unserer Sünde. Ihr, die nicht wir seid, seid uns egal.
Und wir, die nie wieder etwas damit zu tun haben wollen, verurteilen euch zum Lynchtod.

So lügen wir also ganz unverschämt, wenn wir sagen: „nie wieder“.
Die engsten Verbündeten Österreichs begehen in Palästina Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen. Wir nennen sie Vorbildmodelle und behaupten man könnte sich etwas für unsere Politik und unsere Regierungskampagnen abschauen.
Die engsten Verbündeten Österreichs begehen in Palästina Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen. Wenn dies passiert, schauen wir aktiv zu oder schauen aktiv weg. Denn die Passivität ist bereits damit beschäftigt sogar die Schamgefühle aufzuschieben.

Wenn diese Nacht in Palästina eine Familie wieder ihres Hauses beraubt wird, wenn diese Nacht in Jerusalem wieder Pogrome stattfinden, wenn diese Nacht Sheikh Jarrah wieder brennt und wenn diese Nacht wieder betende MuslimInnen in ihren Moscheen durch die israelische Besatzung angegriffen werden, so rufen wir zynisch wieder: „nie wieder“.
So rufen wir zynisch wieder „nie wieder“ und schauen zu.
So rufen wir zynisch wieder „nie wieder“ und klatschen Beifall.
Wir klatschen Beifall und ernennen die Menschenfeinde zu unseren FreundInnen, PartnerInnen und Vorbildern.

Wir möchten die Frage stellen warum unser „nie wieder“ auf taube Ohren trifft?
Und wir möchten die Frage stellen, wer erinnert sich noch an das einstige „nie wieder“ und möchte dieses Versprechen erfüllen? Aber bevor wir uns in unserer Überheblichkeit diesen Fragen widmen, möchten wir bescheiden an die PalästinenserInnen erinnern.
Was geschah nun in diesem heiligen Monat, den MuslimInnen fastend und voller Entbehrung verbringen?
Welcher Unwürde und Unterdrückung haben die PalästinenserInnen diesen Ramadan getrotzt? Welcher organisierten Gewalt haben sich die PalästinenserInnen, unabhängig ihrer Konfession, entgegengestellt?
Und welchen Lebenswillen zeigten sie, im Auge der Besatzung und der vorbereiteten „ethnischen Säuberung“?

Dieser Ramadan war, wie jedes Jahr, Ausdruck der Lebensenergie, des Glückes und des Widerstandes der PalästinenserInnen gegen die israelische Besatzung.
Dieser Ramadan war, wie jedes Jahr, begleitet von Schikanen durch die israelische Besatzung.
Denn die Besatzung kann es nicht ertragen, wenn ihre unterdrückten Subjekte sich im Willen und in Ausübung ihres Lebens gegen die Besatzung behaupten.
Dieser Ramadan war eine Erinnerung und ein Versprechen an die Besatzung, dass der Wille Palästinas nicht zu beugen ist und das diese Besatzung nur temporär ist.
Und so erinnerte die Besatzung Palästina, uns und die restliche Welt daran, dass sie als Besatzung eine Besatzung ist und schlug gewaltvoll zu. Ihr Frust über den unbeugsamen Willen Palästinas entlud sich in organisierter Gewalt. Diese Gewalt wurde organisiert durch israelische Polizei, Militär, Zivilgesellschaft und wurde legitimiert durch ihre und unsere sogenannten PolitikerInnen.
Wir sagen aber Palästina lebt und wird leben. Niemand weiß dies besser als die israelische Besatzung, die Menschen in einer Moschee angreifen muss und zu hunderten verletzt, verstümmelt und tötet. Ein Zeichen der Schwäche Israels, die sich wie bei einem Halbstarken durch physische Gewalt Raum verschaffen muss.
Und das im gesegneten Monat Ramadan, der ohnehin schon von Enthaltsamkeit und asketischer Entbehrung geprägt ist.
Alles andere als militärische Unterdrückung würde wahre Stärke benötigen. Diese besitzt aber eine Besatzung und ein Unrechtsregime nicht. Sie kennt nur die ewig zuschlagende Faust, die irgendwann an ihrer eigenen Gewalt zerbricht.

Wir möchten also somit zu unserem Versprechen zurückkommen.
„Nie wieder“, rufen wir und möchten anklagen:
Herr Kurz, Sie und Ihre Regierung; Herr Kern, Sie und Ihre ehemalige Regierung; und all die Regierungen vor Ihnen wissen und wussten von Palästina. Ihr alle pflegt intensive Beziehungen nach Tel Aviv, zu Netanyahu und Co. Ihr handelt Waffen, ihr sprecht von FreundInnen, PartnerInnen und Vorbildern. Möchtet ihr also etwas an eurer Schuld abstreiten? Welches Gericht würde euch frei sprechen in den Anklagepunkten Mittäter- und Mitwissenschaft? Sicherlich kein Gericht unter dem Eid, „Nie wieder“.
Kommen nicht Leute mit weit weniger Beweislast in österreichische Gefängnisse? Mit welchem Doppelstandart würden wir also urteilen, wenn wir euch nicht schuldig sprächen?

Welche Konsequenz hat das für uns als Gesellschaft, wenn unsere Regierung mitschuldig ist und wir einen Doppelstandart der Gerechtigkeit pflegen? Die Konsequenz ist, wir rufen „nie wieder“ und lügen unverschämt. Und weil unsere Scham nicht ausreichend wäre, um dieses Verbrechen wiedergutzumachen, lassen wir uns in die Komplizenschaft der ethnischen Säuberung zwängen.
Denn wo keine PalästinenserInnen übrigbleiben, gibt es auch keine ZeugInnen unserer Lügen und nichtvorhandenen Scham.

Aber es gibt sie doch, die Leute, die „nie wieder“ rufen und es auch so meinen!
Die Leute, so wie sie heute hier versammelt sind und daran erinnern, dass eine große Ungerechtigkeit in Palästina stattfindet und unsere Regierung mitmordet.
Was können die Leute des tatsächlichen „Nie wieder“s also tun? In unserer Bescheidenheit fragen wir das unermüdliche Palästina, was es uns abverlangt. Es verlangt nicht viel, nur ein Ende der Komplizenschaft.
Ein Ende der Komplizenschaft bedeutet also nicht viel mehr und nicht viel weniger als ein Ende unserer aktiven Passivität und eine Erfüllung unseres Versprechens.
Für manche Karriereprofis scheint Bescheidenheit aber zu viel Entbehrung zu sein. Die armen Besserverdiener, PolitikerInnen und sonstige Karriereprofis können sich diese Bescheidenheit gar nicht leisten, denn diese Bescheidenheit gibt es nicht im Supermarkt, an der Finanzbörse oder in Hinterzimmerverhandlungen zum Erwerb.
Das unermüdliche Palästina ist uns eine geduldige Lehrerin und sie lehrt uns diese Bescheidenheit, die uns fehlt und die wir brauchen, um unsere Komplizenschaft zu beenden.

Das unermüdliche Palästina ist uns eine geduldige Lehrerin und sie lehrt uns ein Ende der Komplizenschaft bedeutet, wir ziehen PolitikerInnen und auch uns selbst zur Verantwortung.
Es bedeutet wir agieren als aktive Zivilgesellschaft und rufen auf zu:
Boykott – Desinvestition – Sanktion. BDS!

Post Author: Autor:in