Keine Präventivhaft – Keine Haft ohne Anklage – Nicht in Palästina und nicht in Österreich!

Die Repressionsmaßnahmen der letzten Jahre, doch insbesondere die Maßnahmen des Novembers 2020, müssen wir auch als einen weiteren alarmierenden Trend der „Israelisierung“ der österreichischen Politik hinweisen.
Es ist kein Geheimnis, dass die Regierungen in Europa und die österreichischen Regierungen der letzten Jahre mit den israelischen Regierungen eine besonders enge Verbindung pflegen[1][2][3][4][5]. Diese Freundschaft geht anscheinend so weit, dass das BVT, um dem israelischen Geheimdienst Mossad einen Gefallen zu tun, sogar Kriegsverbrecher in Wien unterbringt.[6]

Mit dem jetzigen Vorstoß einer weiteren Gesetzesverschärfung unter dem Namen Anti-Terror-Paket möchten wir beispielhaft auf die Gefahr von Entrechtung, Kriminalisierung und Einschüchterung spezifischer Gruppen und Gesinnungen, als auch dessen Potential der Ausweitung auf andere, hinweisen. Während der Überfall auf PalästinenserInnen im Rahmen der Operation „Luxor”, auf vielen Ebenen illegal ablief und als Repression gegen alle politisch Organisierten gemeint war, hatte die Regierung keine Scham davor, nochmals nachzutreten. Vorgeschlagen wurden zusätzlich Maßnahmen wie „Sicherungshaft“ und das sogenannte „Anti-Terror-Paket“, welche in diesen menschenfeindlichen Zügen ansonsten in westlichen Rechtsstaaten eine Verurteilung finden würden.
Die Operation „Luxor“ wurde mit der Aushebelung der Menschenrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der versuchten finanziellen Existenzverhinderung von MuslimInnen auffällig [7]. Unter dem Vorwurf der Geldwäsche und Terrorfinanzierung wurden bisher nicht die geringsten Beweise vorgebracht und auch keine Verhaftungen vorgenommen[8]. Diese Maßnahme kann somit nur als eine Verletzung von Grundrechten und der Einschüchterung angesehen werden.
Weil bereits 2 Tage darauf der Vorschlag einer Gesinnungsstraftat „politischer Islam“ im Zusammenhang eines umfassenden Repressionsplans aufkam, sind Parallelen zu israelischen Unterdrückungspraxen mehr als nur gegeben. Die „staatsrassistische Disziplinierung von Muslimen“[9] soll durch die Möglichkeit einer Präventivhaft ausgebaut werden. Der Vorschlag einer Präventivhaft kriegt nämlich erst mit der Kriminalisierung von spezifischen Gesinnungen seine Wirkung und Bedeutung.

Derzeit ist die Einführung der Präventivhaft wegen fehlender parlamentarischer Mehrheit  aufgehoben, was aber im europäischen Kontext eines allgemeinen Rechtstrends nur ein Aufschub sein wird. FPÖ, SPÖ und Grüne haben dem Vorschlag der ÖVP mit der Begründung eine Absage erteilt, da es bereits eine „verfassungskonforme“ Präventivhaft z.B. für AsylbewerberInnen gäbe und bereits angewendet wird.  Eine sogenannte Sicherungshaft gegen alle BürgerInnen würde eine Verfassungsänderung bedeuten. Ein weiteres Argument der Parlamentsparteien aus FPÖ, SPÖ und Grünen lautet auch, dass schließlich die vom Bundeskanzler Kurz geforderte „Sicherungshaft“ vor allem im Kampf gegen „islamische Extremisten“ benötigt werde.[10][11] Weder Regierung und Opposition definieren was „islamischer Extremismus“ ist.

 Einzig die NEOS-Partei hielt es für nötig, diese Maßnahme als „autoritär“ zurückzuweisen und ihre Rechtfertigung durch Kanzler Kurz als Lüge zu entlarven, da es hier gar nicht die benannte Gesetzeslücke im Kampf gegen irgendetwas gäbe.[12]
Die Forderungen des Kanzlers entsprechen, ganz plump ausgedrückt, der vielfach von Amnesty International verurteilten Form der „Administrativhaft“.[13]

Aber was ist diese Administrativhaft?[14]

Administrativhaft ist die Gefangenschaft und der Freiheitsentzug einer Person, ohne dass diese eine Gerichtsverhandlung bekommt oder gar ein Gesetz gebrochen hat. Oftmals unschuldige Personen werden mehr oder weniger willkürlich als Risiko eingestuft und deswegen präventiv eingesperrt. Die Beweise, die ein von ihm/ihr ausgehendes Risiko belegen sollen, werden dabei oftmals nicht überprüft und dem/der Gefangenen gar nicht erst vorgeführt. Zusätzlich gibt es für die Administrativhaft kein tatsächliches Limit – Gefangene können über Jahre unschuldig eingesperrt sein. Es gibt keine rechtlichen Schritte, die man hier noch einleiten könnte, um eine Unschuld zu beweisen, da sowohl angebliche Beweise geheim gehalten werden als auch ein fairer Gerichtsprozess nicht stattfindet. Israel ist dabei nicht das einzige Land, welches Administrativhaft praktiziert, sondern reiht sich damit in die Tradition von Apartheid Südafrika und den USA ein, welches die Administrativhaft in Guantanamo Bay praktiziert. Trotzdem tut sich Israel auch hier hervor, denn Israel ist der einzige Staat der Welt, indem die Administrativhaft integraler Bestandteil des nationalen Rechtssystems ist.[15]

Wie läuft diese Administrativhaft durch Israel ab?[14]

In der besetzten Westbank dürfen israelische MilitärkommandantInnen Menschen für 6 Monate in Administrativhaft gefangen halten, wenn sie der Meinung sind, dass eine Person die regionale oder öffentliche Sicherheit gefährde. Vor Ablauf dieser 6 Monate kann der/die Kommandeur/in befinden, dass dieses Risiko noch besteht und somit die Administrativhaft jedes Mal erneut um 6 Monate verlängert wird. Personen können so willkürlich jahrelang ihrer Freiheit beraubt werden.
Die Administrativhaft existiert auch mit einigen Detailunterschieden außerhalb der besetzten Westbank für die palästinensischen BürgerInnen Israels.

Obwohl Gefangene in der Administrativhaft einem/r Militärrichter/in vorgeführt werden müssen, dürfen die RichterInnen Beweise in Abwesenheit der Angeklagten annehmen und ihnen diese vorenthalten.

Die Besatzungsmacht nutzt diese Art von Prozess oftmals, um faire Strafverfahren zu umgehen, obwohl dies laut Vierter Genfer Konvention und UN-Zivilpaket verboten ist[15], wenn z.B. nicht genug Beweise gegen Angeklagte vorliegen. Damit reichen schon die politische Meinungsäußerung oder friedlicher Aktivismus aus, um inhaftiert zu werden. Außer in einigen Tokenverfahren, wird dies natürlich bevorzugt gegen PalästinenserInnen benutzt. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat festgestellt, dass die Administrativhaft sich nicht durch die genutzten Scheinvorwürfe rechtfertigen lässt. Somit stellt die gesamte Praxis der Administrativhaft in Israel laut UN-Zivilpaket eine international widerrechtliche Maßnahme dar. [15]

Das Vorbringen vor einen/r Militärrichter/in ist ein Scheinverfahren, denn die RichterInnen akzeptieren in den meisten Fällen die Beweise gegen die Angeklagten, ohne diese zu prüfen oder zu hinterfragen. Die RichterInnen akzeptieren auch die Forderung der anklagenden Militärkommandeure, Beweise den Angeklagten vorzuenthalten. Den Angeklagten fehlt somit gänzlich die Möglichkeit, zu wissen, weswegen sie angeklagt oder wie lange sie eingesperrt werden. Obwohl die RichterInnen Einschränkungen über den Zeitraum der Administrativhaft machen dürfen, wurde dies in 75,5% der Fälle (zwischen 2015 und 2017) nicht getan. 62,4% der Verurteilungen im gleichen Zeitraum stellten eine Verlängerung vorheriger Administrativhaft dar. Nur in 1,2% der Fälle hob das Gericht die Administrativhaft auf.

De facto kann also jedem – ohne eine tatsächliche Anklage – für uneingeschränkte Zeit die Freiheit geraubt werden. Diese Ungerechtigkeit macht keinen Halt vor der Inhaftierung minderjähriger, chronisch kranker und gebrechlicher Leute.
In Folge wird die Administrativhaft zu einer Maßnahme der Entrechtung Unschuldiger und ein Gewaltakt der Besatzung, indem PalästinenserInnen unter Generalverdacht stehen. Eine angebliche Rechtsstaatlichkeit sucht man vergeblich.

Für die Willkürlichkeit der Länge und den Charakter einer Gesinnungsjustiz dieser Maßnahmen gibt es Beispiele. 2012 waren zum Beispiel 18 Mitglieder des palästinensischen Parlaments in Administrativhaft![16]
Unter den neueren Listungen von Amnesty International[14] gibt es Beispiele der Administrativhaft, die über mehrere Jahre hinweg ausgedehnt wurden. So kam erst neuerdings Abdel Razeq Farrah, Administrativ- und Finanzdirektor der Union of Agricultural Work Committees (UAWC) und Vater zweier Kinder nach 10 Jahren aus der Administrativhaft frei. Das sind nicht nur 10 Jahre, mit der die israelische Besatzung die Arbeit und Wirtschaft in den palästinensischen Autonomiegebieten blockiert hat, sondern auch 10 Jahre, die einem unschuldigen Menschen ohne Anklage geraubt wurden.[17] Die Inhaftierung von sogenannten „Schlüsselindividuen“ stellt dabei eine aktive Strategie Israels dar, um zivilgesellschaftliche Organisierung der PalästinenserInnen zu erschweren und um den Widerstand gegen die Besatzung zu brechen und ein freies Palästina unmöglich zu machen. [15]

Gegen Frauen wird in dieser Haft Repression und Folter zusätzlich über geschlechtsspezifische Gewalt angewandt. [18] Schwangere Frauen erhalten keine angemessene Versorgung.

Der palästinensische Aktivist Khader Adnan entkam der Administrativhaft nur, indem er in einen unvorstellbaren Hungerstreik von 66 Tagen ging. Maher al Akhras kam nach 103 Tagen Hungerstreik aus der Administrativhaft. Beide haben nur knapp überlebt.     

Die Unterdrückung durch Präventiv- oder Administrativhaft sollte angesichts dieser Punkte klar sein und wird auch nicht durch den Begriff „Sicherungshaft“ weniger bedrohlich. Dass sich die österreichische Regierung unter Kanzler Kurz durch diese Punkte von einer bisherigen  Rechtsstaatlichkeit weiter weg bewegt, sollte ebenso klar sein. Aber noch brisanter ist, dass diese Regierung sogar weiter gehen will als die israelische Besatzungsmacht mit „ihrer“ Administrativhaft, die nur inoffiziell bestimmte Gesinnungen verfolgt. In Palästina ist der Fakt Palästinenserin oder Palästinenser zu sein ein Grund zum Verdacht.

In Österreich will die Regierung gleich offiziell bestimmte Gesinnungen an sich kriminalisieren, unter Aufhebung von Grund- und Menschenrechten. Eine Gesinnung, die nicht einmal der Staat selber abgrenzen kann von einer „erlaubten“ Gesinnung. Das wäre ein Blankoscheck à la Administrativhaft, um mit effektiv bedeutungslosen Vorwürfen Menschen in Haft zu stecken.

Wir rufen daher alle kritischen Menschen auf,  sich dieser zunehmenden Israelisierung europäischer Politik zu widersetzen. Nicht zuletzt fordern wir Solidarität mit den PalästinenserInnen – in Palästina und überall und die Freilassung ihrer Gefangenen.

 


[1]https://orf.at/v2/stories/2442361/2442341/
[2]https://www.derstandard.at/story/2000117792028/kurz-und-netanjahu-durch-dick-und-duenn
[3]https://www.derstandard.at/story/2000117101922/wem-kurz-im-in-und-ausland-vertraut-netanjahu-bonelli-und
[4]https://www.timesofisrael.com/is-a-netanyahu-kurz-bromance-responsible-for-austrias-new-direction-on-israel/
[5]https://nunu.at/artikel/ziemlich-beste-freunde-die-politische-harmonie-von-benjamin-netanjahu-und-sebastian-kurz/
[6] https://kurier.at/chronik/oesterreich/bvt-skandal-die-dubiose-flucht-des-stasi-generals/401097168
[7] https://www.diepresse.com/5896696/operation-luxor-das-soll-die-muslimbruderschaft-in-osterreich-sein
[8]https://www.falter.at/zeitung/20201118/schuss-ins-islamistische-dickicht/_fb14675e43?ver=a
[9] http://linkswende.org/operation-luxor-staatsrassistische-disziplinierung-von-muslimen/
[10] https://www.vienna.at/nach-wien-anschlag-kritik-an-regierung-bei-nationalrat/6798887
[11] https://www.derstandard.at/story/2000114130120/sicherungshaft-wie-geht-verfassungskonformes-einsperren
[12] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2046648-Kurz-Die-Sicherungshaft-wird-kommen.html
[13] https://www.amnesty.org/en/search/?q=administrative+detention&sort=date&country=38537
[14] https://www.btselem.org/administrative_detention
[15] https://www.frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_69/s69_58-60.pdf
[16]https://web.archive.org/web/20121019163115/http://www.addameer.org/etemplate.php?id=496
[17] https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2018/09/abdul-razeq-farraj-palestinians-and-administrative-detention/

[18] https://freedomarchives.org/Pal/womenprisonersBW.pdf

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